© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/05 30. September 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Ermutigung
Karl Heinzen

Fünfzehn Jahre nach der Wiedervereinigung wird mit der DDR-Vergangenheit, an die sich kaum noch ein Bundesbürger erinnert, weiterhin Politik gemacht. Dem Fraktionsvorsitzenden der PDS im sächsischen Landtag, Peter Porsch, droht die Aberkennung seines Abgeordnetenmandats, weil er angeblich Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen sei. Sogar die NPD, die sich in eigener Sache sonst gerne als Partei der Bürgerrechte geriert und vorgibt, den besonderen Befindlichkeiten der Menschen im Beitrittsgebiet gerecht zu werden, fällt in den Chor der Denunzianten und Vorverurteiler ein. Marianne Birthler schließlich mißbrauchte die Autorität ihres Amtes als Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, um eine Breitseite gegen die neue Fraktion der Linkspartei im Deutschen Bundestag zu feuern: Mindestens sieben ihrer insgesamt 54 Abgeordneten seien "nach Aktenlage" bereits bekannte ehemalige IM.

Derartige Invektiven zeugen von geschichtsvergessener Undankbarkeit. Die Einverleibung der DDR durch die Bundesrepublik würde im Rückblick nämlich keineswegs in leuchtenden Farben erscheinen, hätte die SED im Vertrauen auf ihre Fortexistenz und eine faire Chance im pluralistischen Meinungswettstreit Gesamtdeutschlands nicht klein beigegeben. An dieses Versprechen ist unser Land weiterhin gebunden, zumal es dem Westen nicht an Gelegenheiten mangelte, mittels der auf Enteignung von Volksvermögen zielenden Treuhand, der Oktroyierung einer zeitgemäßen Kolonialverwaltung sowie der sozialpolitischen Degradierung der Menschen des Beitrittsgebietes zu Bürgern zweiter Klasse Rache am einstigen Kontrahenten auf der anderen Seite der Systemgrenze zu nehmen.

Die Stoiber- und Schönbohm-Attacken im Wahlkampf signalisierten jedoch bereits, daß manche auf diesem Gebiet immer noch nicht ihr Mütchen gekühlt haben. Sie nehmen es den ostelbischen Bürgern übel, daß diese durch ihre Beharrlichkeit die Voraussetzung dafür schufen, eine äußerste Linke im Parteienspektrum zu etablieren, die nicht länger nur folkloristisches Nachglimmen der DDR darstellt, sondern in ganz Deutschland Fuß gefaßt hat. Etwas mehr Gelassenheit wäre hier indes eher am Platz: Die Linke gibt endlich ein klares Bild davon, wie viele Menschen in unserem Land tatsächlich um jeden Preis nach sozialer Gerechtigkeit verlangen. Mit den übrigen knapp 90 Prozent lassen sich die von der Wirtschaft geforderten Reformen so oder so durchführen. Dies sollte als Ermutigung verstanden werden.


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