© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/05 30. September 2005

Frisch gepresst

Bildungsbürger. Die Entchristlichung Europas war Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr auf eine schmale Schicht aufgeklärter "Gott ist tot"-Verkünder beschränkt. Davon waren längst die Massen erfaßt, denen mit der Glaubensgewißheit auch die Verbindlichkeit christlicher Moral abhanden kam. Diese sich gefährlich auftuende Leere mußte gefüllt werden. Wie heute waren um 1900 daher "neue Werte" gefragt. Unter zahllosen Anbietern ersatzreligiöser Gewißheit durften professionelle Sinnstifter wie die akademischen Philosophen nicht fehlen. Einer von ihnen war der Schlesier Bruno Bauch (1877-1942), der seit 1911 in Jena neben Rudolf Eucken lehrte, dem einzigen deutschen Philosophen, der bisher den Nobelpreis erhielt. Mit Euckens Ruhm und Wirkung als Weltanschauungsapostel konnte der Neukantianer Bauch nie konkurrieren. Gleichwohl bietet die intellektuelle Biographie dieses Denkers aus der zweiten Reihe genug Material, um exemplarisch den Weg eines Bildungsbürgers nachzuzeichnen, dessen werttheoretisch fundierte Kulturphilosophie in "drei Reichen" nach politischer Umsetzung verlangte. In seiner vorzüglichen Fallstudie hat Sven Schlotter diese "finale Frage nach dem Zusammenhang von Philosophie und Politik" stets im Visier (Die Totalität der Kultur. Philosophisches Denken und politisches Handeln bei Bruno Bauch. Königs-hausen&Neumann, Würzburg 2004, 256 Seiten, broschiert, 34,80 Euro).

 

Deutsche Außenpolitik. In seinem jüngsten Buch bewertet der ehemalige griechische Diplomat Gregor M. Manousakis die irrationalen Elemente der deutschen Politik seit Bismarck. Nur oberflächlich streift er die außenpolitischen deutschen Fehlentscheidungen seit dem Kaiserreich. Nach kurzem Exkurs über die falsch verstandene und überzogene deutsche Vergangenheitsbewältigung legt Manousakis seinen Schwerpunkt auf die Analyse der deutsche Europapolitik nach 1945. Westintegration und EU-Erweiterung werden von ihm genau analysiert, Türkei-Beitrit und US-amerikanische Hegemonie scharf kritisiert, um so dem vereinten Europa zukünftige Handlungsoptionen aufzuzeigen. Neben dieser selbstbewußten Lageanalyse hänge der Fortbestand Europas vor allem von seinem eigenen Überlebenswillen ab (Irrationale Elemente deutscher Politik. Von Bismarck bis Schröder. Verlag Tsoukatau, Athen 2005, 270 Seiten, gebunden, 24,90 Euro).


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