© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/05 30. September 2005

Meldungen

China: Olympische Spiele wirken als Treibsatz

BERLIN. Der Aufbruch nach China muß nicht zwingend am Geld scheitern. Jedenfalls nicht für hochqualifizierte Wissenschaftler, denen die Deutsche Universitäts-Zeitung (6/05) auch gleich einen Katalog potentieller Förderer an die Hand gibt, in der natürlich Deutscher Akademischer Austauschdienst, die Deutsche Forschungsgesellschaft und die Humboldt-Stiftung dominieren. Wie aber ein Beitrag Frank van Bebbers zum Schwerpunktthema über die "Besiedlung" der chinesischen Wissenschaftslandschaft zeigt, errichtet das rote Riesenreich Barrieren aller Art gegenüber ausländischen Kooperationswünschen. Inmitten seines euphorischen Reports über die deutsch-chinesische Zusammenarbeit sind Hinweise auf diese Schattenseiten nicht zu überlesen, etwa auf politische Restriktionen Pekings, auf den für die deutsche Seite kostspieligen Bürokratismus nebst Korruption sowie auf den Primat strikt anwendungsbezogener Projekte. Ungeachtet dessen stimmt van Bedder dem fast schwärmerischen Bundesforschungsbericht zu, für den sich ungeahnte Perspektiven in der Ingenieurswissenschaft, in der Bio- und Kommunikationstechnik auftun in einem Land, das über 1.500 Hochschulen verfügt und das 2002 72 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung ausgab. Überdies wirken die Olympischen Spiele in Peking 2008 augenblicklich als "Treibsatz". Auch für die Wirtschaft, die besondere chinesische "Freiheiten" zu schätzen weiß. Die Degussa AG etwa verlagert Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ins Reich der Mitte. Das 2004 mit zwölf Millionen Euro aufgebaute Labor in Shanghai biete die "Nähe zum Markt, niedrige Kosten und größere Freiheiten in der Biotechnologie".

 

Kulturelle Identität ohne religiöse Basis

STUTTGART. Daniel Düsentrieb und nicht Leopold von Ranke heißt heute der Gottvater der Geschichtswissenschaft. Denn: Plötzlich ist alles "Erfindung". Dabei sollte jeder Historiker, der im Titel seiner Arbeit dieses Wort verwendet, gerüffelt werden. Das würde auch für sprachlich schiefe Varianten gelten, wie sie der Wiener Osteuropahistoriker Börries Kuzmany einführt: "Die Neuerfindung des Judentums" (Jahrbücher für die Geschichte Osteuropas, 2/05). Immerhin beschränkt sich der Nonsens auf den Aufsatztitel, so daß Kuzmany einen soliden Beitrag über das geschichtspolitisch heikle Verhältnis zwischen Judentum und Bolschewismus im ersten Jahrfünft der Revolution abliefert. Dabei steht aber nicht der jüdische Anteil an Lenins Herrschaftsapparat im Vordergrund. Vielmehr belegt Kuzmany, daß die bolschewistische Ideologie dem sowjetischen Judentum nur eine "Selbstidentifikation ohne religiöse Basis" offerierte. Die kulturelle Identität der "jüdischen Nation" im Verbund vermeintlich autonomer Sowjetrepubliken sei nur auf der Schwundstufe des jiddischen Sprachgebrauchs zugelassen worden. Bevor Stalins Politik ab 1936 die "sowjetjüdische Kultur" auslöschte, habe es drei Kategorien sowjetischer Juden gegeben: die zionistischen Traditionalisten, die die offizielle Politik ablehnten, die Mehrheit der Assimilierten und eben die "Autonomisten", die sich regimekonform nur noch über die jiddische Sprache mit dem Judentum identifiziert habe.


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