© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/05 07. Oktober 2005

Der Irrglaube von der erlaubten Abtreibung
Lebensrecht: Kongreß zum zehnten Jahrestag der Änderung des Paragraphen 218 / Kritik an staatlicher Subventionierung von Schwangerschaftsabbrüchen
Stefanie Wegner

Vor zehn Jahren, am 1. Oktober 1995, trat das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz in Kraft. Mit ihm wurden die Vorschriften zur Abtreibung in Deutschland neu geregelt. Der Bundesverband für Lebensrecht e.V. (BVL) hatte aus diesem Anlaß in der vergangenen Woche zu einem Symposium nach Berlin eingeladen, um unter dem Motto "10 Jahre gesetzliche Fristenlösung im vereinigten Deutschland" Bilanz zu ziehen.

Christian Hillgruber, Professor am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn, beleuchtete dabei die neue Fristenregelung mit Beratungspflicht, die unter den Vorzeichen eines Paradigmenwechsels - "Hilfe statt Strafe" - Abtreibungen bis zur 12. Woche straffrei läßt.

Diese Lösung war unter anderem mit der Begründung eingeführt worden, so sei Lebensschutz effektiv besser möglich. Genau das Gegenteil sei aber eingetreten, resümierte Hillgruber. Das Unrechtsbewußtsein, daß Abtreibung eigentlich illegal ist und nur unter gewissen Umständen nicht bestraft wird, sei gesunken. Aus der Altersgruppe der 14- bis 29jährigen glaubten gar zwei Drittel, das Gesetz erlaube die Abtreibung.

Laut Statistischem Bundesamt liegt die Zahl der Abtreibungen seit Jahren konstant bei 130.000, die Dunkelziffer nicht mitgerechnet - eine sehr hohe Zahl, wenn man die demographische Entwicklung in Deutschland betrachtet. Man müsse nach Ansicht von Hillgruber sogar von einem Anstieg an Abtreibungen sprechen, da die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter kontinuierlich sinke. Aber diese Beobachtungen gehen nicht in die Statistiken ein, genausowenig wie alle Abtreibungen dort erfaßt werden.

Hillgruber fordert Einhaltung der Meldepflicht

Hillgruber fordert deshalb eine konsequente Einhaltung der Meldepflicht. Da der Staat daran aber kein Interesse zeige, verletze er seine Schutzpflicht ungeborenem Leben gegenüber. Im Gegenteil - der Schwangerschaftsabbruch sei quasi eine öffentliche Dienstleistung und werde vom Steuerzahler über die Krankenkassen subventioniert. Er wertete es als Skandal, daß Abtreibungen den Staat rechnerisch billiger kommen, als die Geburt und Erziehung eines Kindes zu finanzieren. Der Staat solle in die Zukunft investieren und das Leben fördern. Das sei auf lange Sicht auch wirtschaftlicher.

Nach Ansicht Hillgrubers werde die persönliche Belastung der Frauen, die oft zur Rechtfertigung von Abtreibungen diene, überschätzt. Selbstverwirklichung dürfe nicht auf Kosten des ungeborenen Lebens gehen.

Das Motto "Mein Bauch gehört mir" sei irreführend, da es nicht um die Selbstbestimmung der Frau gehe, sondern um eine Fremdbestimmung über das ungeborene Kind durch die Frau. Allerdings seien auch die Männer in der Verantwortung. Wer nicht zu seiner Vaterschaft stehe, solle gesellschaftlich geächtet werden.

Die Ärztin Angelika Pokropp-Hippen aus Münster berichtete über das post-abortion syndrom (PAS), das "Post-Abtreibungs-Syndrom". Jede Abtreibung sei ein Trauma, auch für die Männer. Besonders aber Frauen seien häufig von Schuldgefühlen und Alpträumen geplagt. Sogenannte "Triggerreize" wie eine Mutter mit Kinderwagen oder der errechnete Geburtstag des abgetriebenen Kindes könnten visuelle und emotionale "Flashbacks" auslösen, die das Gehirn überfluten. Häufig treten auch Störungen im Verhältnis zu Partner und Kindern, Angststörungen und psychosomatische Erkrankungen auf, die bis zur Berufsunfähigkeit führen können.

Manfred Spieker, der Christliche Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück lehrt, sprach in seinem Beitrag von einer "Kultur des Todes", die um die Themen Abtreibung und Euthanasie kreise und im Grunde seit Menschengedenken immer wieder auftrete.

Irreführende Begriffe fördern "Kultur des Todes"

In unserer Gesellschaft sei sie durch die Reform des Paragraphen 218 im Jahre 1995 manifest und breite sich seit 30 Jahren unter der Verwendung von "Tarnkappen" weiter aus. Dazu zählt er die Tatsache, daß seit 1974 alle vier Reformen jenes Paragraphen stets als "Gesetze zur Verbesserungen des Lebensschutzes" deklariert worden seien, oder der Vorgang der Abtreibung in sogenannten "Aufklärungsbroschüren" stets so beschrieben werde, daß er von dem Faktum der Tötung des Kindes ablenke.

Der Journalist Martin Lohmann aus Bonn zeigte die Dialektik von Tabus auf und fordert den journalistischen Auftrag zur Aufklärung und Verantwortung ein. Gerade die Medien trügen zur Bewußtseinsbildung bei - oder eben zur "Bewußtseinsvernebelung". Irreführende Begriffe wie "Schwangerschaftsunterbrechung", "Abtreibungsrecht", "werdendes Leben" statt "wachsendes Leben" oder "Schwangerschaftsgewebe" statt "Embryo" dürften nicht mehr verwendet werden.

Der stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes für Lebensrecht, Bernward Büchner, forderte die Einsetzung einer Enquete-Kommission, die Vorschläge für eine Reform des Paragraphen 218 erarbeiten sollte, um das Leben ungeborener Kinder wirksam zu schützen. Gerade in Deutschland, einem der kinderärmsten Länder der Welt sei staatlich subventionierte Tötung ein Skandal.

Der Bundesverband für Lebensrecht im Internet: www.bv-lebensrecht.de


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