© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/05 07. Oktober 2005

Auch Grüne schützen die Verbraucher nicht
Gesundheit: Alle Bundestagsparteien lassen die Bürger im Stich, wenn es um die Qualität beim Essen geht
Leonhard Weiss

In ihrer Analyse der rot-grünen Ernährungs-, Agrar- und Verbraucherpolitik kommt die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch zu einem vernichtenden Urteil. Das ergibt ihre jüngste Analyse "Bilanz und Ausblick deutscher Ernährungs- und Agrarpolitik aus Verbrauchersicht". Die BSE-Krise 2000 hätte der Bundesregierung die historische Chance für eine neue Verbraucherschutzpolitik gegeben. Aber es wurden nicht die richtigen Lehren für eine vorsorgende und zeitgemäße Ernährungspolitik gezogen, kritisiert Foodwatch.

Der vom Ex-Greenpeace-Chef Thilo Bode gegründete Verbraucherverein ( www.foodwatch.de ) nennt fünf Gründe, warum Rot-Grün keine effiziente Verbraucherschutzpolitik gelang:

- Bei der angestrebten "Agrarwende" lag der Fokus einseitig auf dem ökologischen Landbau. Statt lediglich Ökoäcker zu fördern, hätten aber auch konventionelle Bauern durch Auflagen für Dünger und Pestizide zu einer ökologischeren Landwirtschaft angeregt werden müssen. Sinnvoll wäre es gewesen, das Verursacherprinzip flächendeckend einzuführen, um so alle Agrarbetriebe an denen von ihnen verursachten Umweltbeeinträchtigungen zu beteiligen.

- Es sei illusorisch gewesen, für Ökoprodukte einen Marktanteil von 20 Prozent anzupeilen. "Zwanzig Prozent Bio bis 2010" verlangte die inzwischen zurückgetretene grüne Ministerin Renate Künast - zu einer Zeit, als ökologische Lebensmittel gerade einmal drei Prozent Marktanteil hatten. Um dies zu erreichen, führte sie ein EU-weit gültiges Bio-Siegel ein. Damit öffnete sie den deutschen Markt allerdings auch für Bioprodukte wie Obst und Gemüse, aber auch Luxusgüter wie Kaffee, Wein oder Tabak aus dem Ausland. Diese würden nämlich häufig unter weit weniger strengen Bedingungen produziert als die deutschen Standards "Demeter", "Bioland" oder "Naturkind".

"Viele Biobauern sind verbittert"

"Viele Biobauern sind verbittert, weil die Politik, die eigentlich Gutes wollte, ihnen den Markt kaputtgemacht hat", meint Matthias Stührwoldt, Betreiber eines kleinen Biobauernhofes. Demgegenüber verlautbarte Künast in einer Rede von 2001: "Die Bauern haben seit Jahren unter dem Strukturwandel gelitten. Wir werden ihnen jetzt eine klare Perspektive hin zu ökologischer und regionaler Produktion geben."

- Der Bereich Produkthaftung weist erhebliche Lücken auf. Es gab zu wenig wirtschaftliche Anreize für die Produktion und den Vertrieb ökologisch einwandfreier Lebensmittel. So wurde bei Lebensmittelkontrollen geschludert und Gesetzesverstöße zu milde sanktioniert.

Als Beispiel nennt Foodwatch die Versäumnisse bei der Futtermittelsicherheit. Immer wieder sei unvergälltes Tiermehl als Dünger aufgrund mangelnder Kontrollen Futtermitteln beigemischt worden. Die Konsequenz: Im Jahr 2003 stieg die Zahl der BSE-Fälle auf 54, im Jahr darauf lag sie bei 65. 2005 wurden bislang etwa 24 Fälle gemeldet. Künast proklamierte aber: "In unsere Kühe kommt nur Wasser, Getreide und Gras."

- Bei der Genfood-Kennzeichnung sei Künast auf halbem Wege stehengeblieben. Beim Kauf von Fleisch, Eiern oder Milch wisse niemand, ob er sich für oder gegen Gentechnologie entscheide. Die Verwendung genveränderten Futters bei der Erzeugung tierischer Lebensmittel unterliege bislang keiner Kennzeichnungspflicht. So unterstützen die Verbraucher unwillentlich eine Praxis, die sie tendenziell ablehnen. Und das, obwohl es im rot-grünen Koalitionsvertrag 2002 hieß: "Wir wollen bei der Grünen Gentechnik Wahlfreiheit und Transparenz sicherstellen."

- Schließlich habe sich Rot-Grün bei der Schaffung neuer Institutionen vertan. Die Gründung des neuen Doppelministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz sei eine "Fehlkonstruktion", da die Interessen von Verbrauchern und Landwirten nicht selten gegenläufig seien.

In der Foodwatch-Studie ist die Bilanz der Bundesregierung bei der Agrar- und Verbraucherpolitik - angesichts der hochgesteckten Ziele - mager. Es wurde aber zumindest die Verbraucherschutzdiskussion in Schwung gebracht und der ökologischen Markt angeschoben. Die Konsumenten wurden für Alternativen zur konventionellen Agrarproduktion sensibilisiert.

Daß die FDP "die sogenannte Agrarwende, stoppen und korrigieren" wird, scheine inzwischen zwar ausgeschlossen. Im Wahlprogramm von CDU/CSU heißt es: "Die staatlichen (Lebensmittel-)Kontrollen sind auf ein Mindestmaß zurückzuführen, die Sanktionen aber deutlich zu verstärken." Beide Parteien wollen mit der SPD eine Große Koalition bilden. Die Genossen forderten im Wahlprogramm 2005 pauschal: "Weder konventionelle Landwirtschaft noch ökologischer Landbau dürfen benachteiligt werden." Angesichts dessen dürfte die Bilanz der Ernährungs- und Agrarpolitik aus Verbrauchersicht bei einer künftigen Großen Koalition noch verheerender ausfallen.


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