© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/05 07. Oktober 2005

Ortstermin: Ein Besuch in der Berliner Ebay-Universität
Mein Müll ist Ihr Schatz
Ronald Gläser

Ausgerechnet in der früheren Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) im Berliner Stadtteil Friedrichshain hält im früheren Kino Kosmos für einen Tag die Speerspitze des modernen Kapitalismus Einzug: die Ebay-Universität. "Ebay" ist wie ein Zauberwort. Dieses Paradies für Schnäpp-chenjäger hat die Krise der sogenannten New Economy nicht nur überlebt. Im Gegenteil: Das Internet-Auktionshaus ist in Windeseile zu einem weltweit agierenden Konzern aufgestiegen. Es gibt in der Wirtschaftsgeschichte kaum Beispiele für andere Firmen, die in so kurzer Zeit einen so hohen Bekanntheitsgrad erreichen konnten.

Verschiedene Kategorien von Besuchern bevölkern die Ebay-Universität. Die Einsteiger (meist Käufer) tragen rote Schildchen, Verkäufer dagegen grüne. Profi-Verkäufer (Ebay-Deutsch: Power-Seller) laufen mit blauen, Referenten mit grauen und Pressevertreter mit gelben Schildern umher. Torsten Hornung (Ebay-Name: atp50) spricht in Raum 3 über "Markenaufbau und Kundenbindung". Hornung ist selbst Profi-Verkäufer, hat Tausende von Münzen und Briefmarken verkauft. Er ist so etwas wie der Max Mustermann von Ebay.

Ganz wichtig sind für "atp50" die persönlichen Bewertungen bei Ebay. Wer schlechte Ware liefert, bekommt eine schlechte Bewertung. Wer eine schlechte Bewertung hat, dem kauft niemand mehr etwas ab. So simpel ist die Marktlogik. Es gibt inzwischen Wortschöpfungen wie "Rachebewertung" für Ebayaner, die anderen ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Hornung spricht dabei wie ein amerikanischer Fernsehprediger: "Nehmen Sie Ihr Profil ernst!" fordert er. "Eine schlechte Bewertung bringt sie fast um, Sie müssen ins Krankenhaus", unterstreicht er seine Warnung. Hornung hat zu 99,9 Prozent positive Bewertungen. Max Mustermann eben.

Dann gibt er den Kanzler und schimpft auf die Presse: "Die ist bemüht, bei Ebay über das Negative zu berichten." Als jemand, der sich mit Angebot und Nachfrage auskennt, sollte er eigentlich verstehen, daß eine zur Versteigerung vorgesehene Niere nun mal interessanter ist als der erfolgreiche Verkauf einer Spielzeug-Eisenbahn.

Wer geht zu einer "Ebay-Juh" (Ebay-Deutsch für Ebay-Universität)? Es sind nicht die jugendlichen Computerfreaks, die man auf LAN (Local Area Network)-Partys oder auf der Schulbank vermuten würde. Das Publikum besteht vorwiegend aus älteren Semestern.

Über zehntausend Ebayaner - Tante-Emma-Laden online

Viele kleine Händler verkaufen ihre Produkte zunehmend über Ebay. Schon heute leben - Schätzungen zufolge - mindestens 10.000 Menschen vom Ebay-Handel. Tante-Emma-Laden goes online!

Es sind Unternehmerinnen wie Mónica Große. Die Kolumbianerin betreibt mit ihrem Mann die Firma Mcposter.com und verkauft Papp-Platten. "Im Bundestagswahlkampf haben wir zwanzig Lkw-Ladungen verkauft", sagt sie stolz - an die Grünen und die CDU, neuerdings auch über Ebay. "Wir hoffen auf Neuwahlen", fügt sie hinzu.

Nach der Pause kommt Marion von Kuczkowski in den Saal. Die Beraterin spricht über Markttransparenz und Verkaufsstrategien: Welche Uhrzeit ist am besten geeignet für Verkäufe? Welcher Wochentag, welcher Einstiegspreis? Und so weiter. Sie selbst hat das nicht mehr nötig. "Ich habe schon genug Sachen für drei Leben bei Ebay verkauft", sagt sie über sich. Jetzt berät sie große Unternehmen dabei, ihre Produkte über Ebay an den Mann zu bringen.

Im Raum 1 hüpft im selben Moment Rika Taylor (Ebay-Name muggeli) vor Zuhörern mit roten Schildchen hin und her. Taylor macht den Einsteiger-Kurs. Hier sitzen fast nur Rentner. Aber Taylor schafft es, sich über ihre Zuhörer lustig zu machen und sie gleichzeitig zu begeistern. Sie erläutert das Ebay-Prinzip: "Des einen Müll ist des anderen Schatz. Mein Müll ist Ihr Schatz." Die Frau hat Lehramt studiert, mag aber nicht im Staatsdienst arbeiten. In ihrem Vortrag berichtet sie von einer Frau, die sich für 500 Euro einen Schrank gekauft habe - nur für ihre Schlumpfsammlung. Die war - selbstredend - auch von Ebay. Taylors Kommentar dazu: "'Alles Geschmackssache', sagte der Affe und biß in die Seife."

Mit der Markttransparenz ist es bei Ebay aber noch nicht so weit her. Vierzig Euro kostet die Eintrittskarte für Anfänger, siebzig für Fortgeschrittene. Der Witz an der Sache: Egal, welche Eintrittskarte die Ebayaner erworben haben - sie können sowohl Kurse für Anfänger wie für Fortgeschrittene besuchen. Es gibt also überhaupt keinen Unterschied zwischen den beiden Billets. Das schreit geradezu nach einer Rachebewertung.


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