© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Nationalhymne sorgt für schräge Töne
Bildungspolitik: Grundschüler im Saarland und Sachsen sollen dritte Strophe des Deutschlandliedes lernen / Kritik von GEW und Grünen an Plänen der CDU
Marcus Schmidt

Die deutsche Nationalhymne sorgt für schräge Töne. Nachdem am vergangenen Wochenende Pläne der sächsischen CDU bekanntgeworden waren, das Erlernen der Nationalhymne in den Lehrplan der sächsischen Grundschulen aufzunehmen, ist die Aufregung im Freistaat groß. Während die FDP überzeugt ist, daß Heimatliebe nicht herbeigesungen werden könne, fordert die Grüne Fraktionsvorsitzende im Dresdner Landtag, Antje Hermenau, gleich eine neue Hymne für das Land. Nur die NPD kann dem Vorschlag etwas abgewinnen - und fordert prompt alle drei Strophen des Deutschlandliedes auf den Lehrplan zu setzen.

Aber Sachsen steht mit seinem Hymnen-Streit nicht alleine. Auch im Saarland wird die Frage wieviel Patriotismus die lieben Kleinen vertragen, seit Tagen heftig diskutiert. Angefangen hatte das Nachdenken über die Hymne vor einigen Wochen mit Sarah Connor. Die junge Sängerin hatte Anfang Juni bei der Eröffnung der neuen Fußballarena in München "Brüh' im Lichte dieses Glückes" statt "Blüh im Glanze dieses Glückes" gesungen und damit deutschlandweit für Aufregung gesorgt.

Zumindest in Sachsen liegen die Wurzeln für den Vorschlag der CDU aber noch weiter zurück. Nach dem schlechten Abschneiden der Union bei den Landtagswahlen in Sachsen im vergangenen September und dem Einzug der NPD in das Parlament hatte Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) den ehemaligen Wissenschaftsminister Matthias Rößler damit beauftragt, das Thema Patriotismus für die Partei neu zu besetzen. Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist der jetzt an die Öffentlichkeit gelangte Leitantrag "Deutscher Patriotismus in Europa", in dem die Forderung nach dem Erlernen der Hymne enthalten ist und der im November dem Landesparteitag der Union vorgelegt werden soll.

Die Reaktionen des politischen Gegners auf diesen Vorschlag ließen erwartungsgemäß nicht lange auf sich warten. Während FDP-Generalsekretär Torsten Herbst die Ablehnung seiner Partei vorsichtig formulierte und äußerte, der Nationalstolz müsse bei den Kindern von selbst heranreifen, wurden die Grünen deutlicher. "Eine Hymne, deren erste und zweite Strophe aus gutem Grund nicht mehr gesungen wird, läßt sich auch nicht an den Grundschulen verordnen", sagte Antje Hermenau. Die Grünen-Politikerin forderte zudem eine neue Nationalhymne für Deutschland, die alle Bürger des Landes mit Stolz singen könnten.

Nicht weniger heftig verläuft die Diskussion derzeit im Saarland. Ende September kündigte Kultusminister Jürgen Schreier (CDU) an, daß im kommenden Schuljahr in den Liederkalender der Grundschulen auch die National- und die Europahymne aufgenommen werden. Zwar hatte er sogleich hinzugefügt: "Mit den Grundschulkindern die dort vorgesehenen Lieder zu singen, ist keine Pflicht, sondern ein Angebot." Doch da war es schon zu spät.

In der Saarbrücker Zeitung warnte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Joachim Klesen, sogleich davor, "in Rattenfänger-Manier rechtsnationale Elemente" in die Schulen zu lassen. "Die Beschäftigung mit der Hymne als Lerninhalt ist in Ordnung, aber das Lied als Instrument für Zusammenhalt oder Identifikation zu nutzen, ist verfehlt", befand der Gewerkschafter. Unterstützung erhielt Klesen vom Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV) und der saarländischen Gesamtlandesschülervertretung, die den Vorschlag des Ministers ebenfalls ablehnten. Allein der Landesvorsitzende des Verbandes deutscher Realschullehrer (VDR) warnte davor, das Singen der Hymne in Deutschland in eine rechte Ecke zu stellen.

Schreier verteidigte seine Anordnung: Ein Staat brauche Traditionen und Symbole. "Dazu gehören ganz gewiß unsere Nationalflagge und unsere Hymne", sagte er. Vergeblich hatte der Minister versucht, seinen Gegnern eine Brücke zu bauen: "Denn Kenntnis und Wissen sind für unsere Schülerinnen und Schüler der beste Schutz vor rechtsextremer Propaganda, die unsere Hymne mißbraucht", sagte Schreier und versicherte zugleich, es sei nicht sein Ziel, "jeden Morgen vor dem Unterricht die Nationalhymne absingen zu lassen". Der CDU-Fraktionschef im saarländischen Landtag, Peter Hans, bezeichnete die Vorbehalte unterdessen als "Ausdruck intellektueller Verklemmung".

Im Vergleich zu ähnlichen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit verläuft der sächsisch-saarländische Hymnenstreit bislang in geordneten Bahnen. In Baden-Württemberg forderte die oppositionelle SPD 1986 sogar den Rücktritt von Kultusminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU), nachdem dieser alle drei Strophen des Deutschlandliedes auf den Lehrplan der Grundschulen gesetzt hatte. Doch Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) blieb standhaft - trotz "Schreiduellen und Tumulten" im Landtag (FAZ), blieb der Minister im Amt.

Foto: Grundschüler studieren ein Lied ein: Darf die Nationalhymne im Musikunterricht ein Thema sein?


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