© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Nicht nur die Liebe zählt
Einwanderung: Ein Bremer "Kunstprojekt" gibt Hilfestellung beim "Heiraten zum Zweck der Aufenthaltssicherung" / Unterstützung durch Behörden?
Kurt Zach

Lieber krankfeiern als gesund schuften" - diese Errungenschaft des Sozialstaates soll illegalen und von Abschiebung bedrohten Einwanderern nicht vorenthalten werden. Das meinen jedenfalls die Betreiber der Seite "Schutzehe" ( www. schutzehe.de ) im Internet.

Möglich ist die Inanspruchnahme dieser und anderer sozialer Vergünstigungen natürlich nur mit einem dauerhaft sicheren Aufenthalt in Deutschland. Der Weg dorthin wird auch gleich gewiesen: "Heirat ist eine Möglichkeit, einen anderen Menschen vor Abschiebung zu schützen", heißt es in dem Internet-Leitfaden, der scheinehewillige deutsche Staatsbürger mit nützlichen Ratschlägen und weiterführenden Internetadressen versorgt.

Pikant: Die Seite "Schutzehe - Heiraten zum Zweck der Aufenthaltssicherung" ist laut Impressum "ein Projekt von Silke Wagner im Rahmen der Ausstellung 'Niemand ist eine Insel', Bremen 2003", die von der Bremer "Gesellschaft für Angewandte Kunst" ( www.gak-bremen.de ) veranstaltet wurde. Und die wiederum firmiert nicht nur als Herausgeber von www. schutzehe.de , sondern wird nach eigenen Angaben "gefördert durch den Senator für Kultur der Freien Hansestadt Bremen". Der Verdacht liegt nahe, daß die offenkundige Anleitung zum Aufenthaltsbetrug auch noch mit Steuergeldern gesponsert wurde - ein starkes Stück in Zeiten leerer Kassen.

Daß sie ihre eigenen Vorstellungen an die Stelle des geltenden Rechts setzen wollen, daraus machen die Robin Hoods von "schutzehe.de" keinen Hehl. Das zeigt sich schon in der Terminologie - der juristische Begriff der Scheinehe wird in naserümpfende Anführungszeichen gesetzt und statt dessen die selbsterfundene Bezeichnung "Schutzehe" verwendet. Jeder Mensch habe das Recht, zu leben, wo er möchte; solange das nicht uneingeschränkt gilt, muß demnach jeder Einwanderer vor Ausweisung und Abschiebung "geschützt" werden. Die "Schutzehe", meint ein deutscher Scheinehemann namens "Bernd" im Interview, sei ein effizientes Mittel im Kampf gegen die Abschiebung; zwar nicht "politisch", weil man sein Tun ja nicht öffentlich mache, aber doch eine "soziale Taktik, mit der die Abschiebungsdrohung unterlaufen wird".

Obwohl die Besucher der Netzseite über die einschlägigen Strafrechtsparagraphen informiert werden, ist von Unrechtsbewußtsein bei den Autoren von "schutzehe.de" keine Spur zu finden. Im Gegenteil: Man will nicht nur "eine Einführung in die Thematik der Schutzehe" bieten, sondern auch "all denen Hilfestellung geben, die eine Schutzehe in Erwägung ziehen". Da die Behörden, wie man sich beklagt, verpflichtet seien, ihre Mitwirkung bei Scheinehen zu verweigern und bestehende aufzudecken und zu verfolgen, solle man sich informieren, bei welchen Standesämtern man die wenigsten Probleme bekomme, und notfalls umziehen. Ein Fragenkatalog soll helfen, sich auf Anhörungen vorzubereiten, mit denen die Ausländerbehörden zu ermitteln versuchen, ob es sich tatsächlich um eine eheliche Lebensgemeinschaft handelt. Auf ausführliche Ratgeber dieser Art wird in der angehängten Linkliste verwiesen. "Bernd" darf im Interview mit "schutz­ehe.de" noch ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern, wie man vor Ämtern und mißtrauischen Nachbarn "ein bißchen Theater" spielt, damit der Betrug nicht auffliegt. Denn: Erfolgreiche Schutzheiraten könnten faktisch kaum verhindert werden, wenn einige Regeln beachtet werden.

Dazu gehöre, nichts zu überstürzen, einen "fähigen Anwalt" hinzuzuziehen, der "im Notfall mithilft", Beratungsstellen aufzusuchen und auch Freunde und Bekannte einzuschalten, die im Streitfall vermitteln können. Mit anderen Worten: Man braucht ein Netzwerk, das von dem gemeinsamen Willen motiviert wird, die Behörden hinters Licht zu führen und Recht und Gesetz auszuhebeln, und ganz offensichtlich gibt es solche Netzwerke und Helfer auch zur Genüge. In der umfangreichen Linkliste wird man schnell fündig: Beim bundesweiten Netzwerk "Kein Mensch ist illegal", bei dem der Text des Leitfadens in einer früheren Fassung bereits veröffentlicht worden war, kann man sich über "Ansprechstellen" informieren, die "illegalisierte und von Abschiebung bedrohte" Einwanderer unterstützen und beraten, und natürlich gibt es auch eine Reihe von Ratgebern für homosexuelle Einwanderer, die sich das neue "Lebenspartnerschaftsgesetz" zunutze machen wollen.

Bislang keine Ermittlungen gegen die Betreiber der Seite

Fragt sich nur, was das Ganze mit "Kunst" zu tun hat und warum derart kaum verhohlene Propaganda für die Aushebelung des geltenden Ausländerrechts ausgerechnet als Ausstellungsprojekt an einer mit öffentlichen Geldern geförderten Einrichtung publik gemacht werden muß. Fragt sich weiter, warum diese Internetseite seit nunmehr zwei Jahren im Netz ist, ohne daß ein Staatsanwalt gegen die Autoren und Betreiber ermittelt hätte - oder gegen "Bernd" und seine Scheinehefrau "Fatima", die sich offen zu ihrem rechtswidrigen Tun bekennen und deren Identitäten den Projektmachern laut Begleittext bekannt sind.


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