© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Das Geschäft mit der Krankheit blüht
Gesundheitspolitik: Immer mehr öffentliche Krankenhäuser werden an private Klinikketten verkauft / Gefahr für Daseinsvorsorge
Hans-Ulrich Pieper

Trotz der zahlreichen Gesundheitsreformen steigen die Kosten für nahezu sämtliche Krankheiten und nicht zuletzt auch für Krankenhäuser stetig an. Andererseits stagnieren die Einnahmen der öffentlichen Haushalte und der Gesetzlichen Krankenkassen.

Die Folge: Die kommunalen Krankenhäuser, die für eine flächendeckende Krankenversorgung der Bevölkerung sorgen sollen, können die Kosten nicht mehr aufbringen - und mit ihnen die verantwortlichen, verschuldeten Kommunen und Bundesländer. Es fehlt für Investitionen und Innovationen allerorts. Schätzungsweise 20 bis 30 Milliarden Euro soll der Investitionsbedarf mittlerweile betragen.

Und es gibt kein politisches Konzept, das die kommunalen und Landeskliniken aus den roten Zahlen herausbringen könnte. So wurden allein in den letzten fünf Jahren 120 unrentable Häuser geschlossen. Bis zum Jahr 2020 wird jede vierte der derzeit 2.200 Kliniken verschwunden sein. Für die Politik bietet sich insofern nur noch eine Lösung an, die sie stets begierig annimmt, wenn sie Verantwortung loswerden will: die Privatisierung, das heißt den Verkauf der Krankenversorgung an zumeist internationale Konzerne.

Es sind Klinikketten wie Ameos-Holding, Asklepios, Helios, Paracelsus, Sana oder die Rhön-Kliniken, die das Geschäft machen. Sie kaufen häufig zu Spottpreisen, um effektive Strukturen zu zerschlagen, so daß rentable übrigbleiben - so dominiert schließlich wirtschaftliches Ertragsdenken auch in jenem Bereich, der eigentlich vorrangig der Volksgesundheit dienen sollte. 2003 hatten 23 Prozent der Kliniken private Träger, "und der Trend ist ungebrochen", weiß Andreas Pfriefler, Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

Ab März 2006 werden alle zehn psychiatrischen Landeskrankenhäuser europaweit angeboten, ließ Niedersachsens Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) bekanntmachen. Sie sucht private Investoren sowohl für die Psychiatrie als auch den Maßregelvollzug, die Abteilung für psychisch kranke Straftäter. Dem Land fehlt das Geld für 200 notwendige Betten in einem der sensibelsten Sektoren des Strafvollzugs: hier wird auch entschieden, ob Sexualstraftäter wieder freigelassen werden. Kein Geld dafür? Also verkaufen, so die Weisheit der Christdemokratin.

Gewerkschafter warnen vor Arbeitsplatzabbau, wenn private Träger die Landeskrankenhäuser mit etwa 4.000 Betten und 6.364 Beschäftigten übernehmen. Zudem werde der einmalige Verkaufserlös für den Finanzminister später durch höhere Pflegesätze wieder aufgezehrt - die Investitionen müssen sich ja rentieren.

Doch nicht nur unionsregierte Länder privatisieren den Gesundheitsbereich: Auch im einst rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen wurden mehrere staatliche Kliniken bereits verkauft, so in Wuppertal, Schwelm oder Remscheid. 40 von 459 Krankenhäusern werden nicht mehr von Kommunen oder Wohlfahrtsverbänden, sondern von Privatinvestoren betrieben.

Die Rhön-Kliniken besitzen bislang 31 Krankenhäuser. Elf davon erwarben sie allein 2005. Zum 1. Oktober erfolgte Übernahme der Frankenwald-Klinik im bayerischen Landkreis Kronach. Der Konzern machte 2004 einen Umsatz von 76,4 Millionen Euro, der allein im ersten Halbjahr 2005 um 38 Prozent anstieg. Das Unternehmen ist inzwischen börsennotiert.

Für die neuen Klinikkonzerne werden große Coups immer interessanter: Asklepios wird mit den Aufkauf des Hamburger Landesbetriebskrankenhauses zum größten Krankenkonzern Europas. Selbst ein ablehnender Volksentscheid, von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi initiiert, konnte das Geschäft mit der Gesundheit nicht verhindern.

In Hessen ist der Verkauf der Universitätskliniken Marburg und Gießen an einen privaten Investor vorgesehen. Das hochverschuldete Gießen hat einen Investitionsbedarf von 200 Millionen Euro. Verbände, Wissenschaftler und nicht zuletzt das Kartellamt sind gegen die Privatisierung - oder haben bemerkenswerte Bedenken. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, kann sich nicht vorstellen, daß das Gesundheitswesen mit gewinnorientierten Kliniken funktionieren kann: "Ich halte das für eine bedrohliche Entwicklung", da die Daseinsvorsorge des Staates aufgehoben und dem Bedarf von Nachfrage und Angebot der Wirtschaft angepaßt wird. Das Behandlungsspektrum werde nach ökonomischen Strategien eingeschränkt - nicht insgesamt, aber für langwierige, teure Krankheiten, bei Notarztdiensten rund um die Uhr. Denn Aktionäre wollen ja Gewinne sehen - auch auf Kosten von kranken Alten, Armen und chronisch Kranken.

Auch Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Marburger Bundes, fragt, warum die Kommunen und Bundesländer ihre Kliniken nicht so aufstellen, führen und organisieren können, daß sie mit ihnen auch Geld verdienen - eine Frage, die heute für zahlreiche Privatisierungen des Staates gilt.

Warum sind die Klinikketten im Wettbewerb derzeit nicht zu schlagen? Sie haben größere Investitionskraft und enge Verbindungen zu Banken. Sie rationalisieren, sie kündigen, kaufen konzernweit billig ein, handeln schneller oder setzen über die Telemedizin ihre Spezialisten konzernweit für die Therapie ein. Randbereiche wie Wäschereien, Küchen oder Labore werden ausgegliedert. Je enger die Vernetzung, desto größer ist der Spareffekt - betonen die Klinikketten. Doch warum können dies Krankenhausleiter, Klinikmanagement, Länder- und Kommunalverwaltungen nicht? Können nur Aufsichtsräte oder Vorstände börsennotierter Konzerne durchsetzungsfähige und organisationsbegabte Führungskräfte finden?

Die deutsche Gesundheitspolitik stellt diese Frage nicht: Föderale Hemmnisse werden betont, statt sie zu beseitigen. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat versprochen, "genau zu prüfen, was öffentlich-rechtlich bleiben muß und was privatrechtlich möglich ist".

Doch nicht nur Niedersachsen privatisiert die Psychiatrie samt Maßregelvollzug. In Schleswig-Holstein, Thüringen oder Brandenburg ist dies schon geschehen oder geplant. Private Teilübernahmen an den Universitäten Leipzig, Regensburg und Berlin-Buch sind erfolgt. Landesverfassungen werden dafür geändert - hoheitliche Aufgaben verkauft. Sicher nutzt dies Kapitalinteressen und Kommunen, aber auch den Kranken? Zweifel sind angebracht.

Foto: Überwachungsmonitor des Berliner Helios-Klinikums: Wirtschaftliches Ertragsdenken hat Vorrang


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