© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Besser als ihr Ruf
Thomas Kraft schlägt eine Bresche für die deutschsprachige Literatur des letzten Jahrzehnts
(JF)

Das Spielerische, Schöne, Unbegreifliche, Spannende und Befreiende, das die Lektüre beim Eintritt in die Welt der Fiktion freisetzen kann", gar "als rauschhaftes Glückserlebnis" - auf zeitgenössische Romane mit solcher Wirkung hinzuweisen ist das Anliegen von Thomas Kraft in seinem neuen Buch "Schwarz auf weiß. Warum die deutschsprachige Literatur besser ist als ihr Ruf. Eine Werbeschrift".

Hatten die jungen Autoren Mitte der neunziger Jahre noch volles Lob für ihre sogenannte Pop-Literatur bekommen, hieß es nur kurze Zeit später, mit dieser gehe auch ein spürbarer Verlust an literarischer Qualität einher. Inzwischen greifen deutsche Leser gerne zu Büchern von Haruki Murakami, Dan Brown und T. C. Boyle - dennoch tritt Kraft unbeirrt als Sprachrohr für die zeitgenössische deutsche Erzählkultur auf.

Thomas Kraft, der als Literaturkritiker, Ausstellungsmacher und Veranstalter in München lebt und als Herausgeber des "Lexikons der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur" (2003), der Reihe "Die dunklen Seiten" sowie "aufgerissen. Zur Literatur der 90er" (2000) publizistisch in Erscheinung getreten ist, distanziert sich in seinem Essay von den Klagen der Literaturkritik und der Buchbranche und bricht eine Lanze für eine selbstbewußte zeitgenössische Erzählliteratur deutscher Sprache. Er führt durch ein vielschichtiges Spektrum interessanter Wortmeldungen der letzten zehn Jahre. Er äußert sich zur Pop-Literatur, verschiedenen anderen Strömungen wie der "Ostliteratur" oder der deutsch-jüdischen Literatur. Pointiert und streitbar zeigt er auf, was die deutschsprachigen Leser an ihrer Literatur haben. Seine Kapitel die mitunter auf Genres verweisen, lauten "Bei der Unterhaltung hört der Spaß auf", "Schwarze Romantik", "Die Suche des Subjekt", "Pop eats itself", "Der wilde und der zahme Osten". Lyrik und Drama werden nicht berücksichtigt.

Folgende Autoren und Romane sind Krafts Meinung nach lesenswert und rechtfertigen seine These, die deutsche Literatur von heute stehe derjenigen anderer Sprachräume in nichts nach: Thomas Brussigs "Helden wie wir" (1995), Günther Ohnemus' "Siebenundsechzig Ansichten einer Frau" (1995), Karen Duves "Regenroman" (1999), Matthias Politickys "Weiberroman" (1997), Ingo Schulzes "Simple Storys" (1998), Uwe Timms "Rot" (2002), Kathrin Rögglas "Wir schlafen nicht" (2003), Juli Zehs "Adler und Engel" (2003), Robert Menasses "Die Vertreibung aus der Hölle" (2001), Zsuzsa Bánks "Der Schwimmer" (2001), Terézia Moras "Alle Tage" (2004). Die Auswahl der Werke spiegelt die gesamte Bandbreite vom Humor über die Melancholie bis hin zum Tragischen.

Bei Annette Pehnt, deren Roman "Ich muß los" aus dem Jahre 2001 er als wunderbar leicht und poetisch beschreibt, kennzeichnen ihm zufolge Sätze wie "An den Bäumen lehnten frisierte Leute" die Fähigkeit der Autorin, mit einem kurzen Satz oder in einer kleinen Nebenbemerkung Charaktere und Stimmungen präzise einzufangen.

Matthias Politicky dagegen ist im Vergleich zu Pehnt oder zum zurückhaltenden, lakonisch-eleganten Peter Stamm "ein eher skeptischer Wortarbeiter mit sozialer Erdung und erzählerischem Witz". So folge man dessen Figur Gregor Schattschneider im "Weiberroman" (1997) gerne durch "ein schillerndes Geflecht von Ikonen, Schlagzeilen, Reizwörtern, Kultgegenständen, Themen und Phänomenen der siebziger und achtziger Jahre, die Sentimentalität verbreiten und parodistische Züge annehmen".

An Jana Hensel schätzt Kraft, daß sie im Alter von nur 26 Jahren mit "Zonenkinder" eine Art Entwicklungs- und Bildungsroman schrieb, der "ebenso detailliert wie sentimental den Alltag der DDR" schildert und monatelang auf den Bestsellerlisten war. Es kommt einem vor, als sitze man in einem Ohrensessel in Krafts kleiner Privatbibliothek und dieser ziehe - gemäß einer gewissen chronologischen und thematischen Reihenfolge - eins nach dem anderen seiner Lieblingsbücher hervor (von manchem Autor gar mehrere), wobei er einem dies mal mehr und mal weniger wortreich und detailliert vorstellt und es kommentiert, jedoch ohne das jeweilige Buch zu beurteilen, sondern es für sich selbst sprechen zu lassen. Der Leser sitzt da also und hört aus den unterschiedlichsten Geschichten den Ton ihrer Verfasser heraus, sieht Figuren und Räume, erfährt von Schicksalen und Träumen. Vor ihm tut sich ein bunter Fächer auf, der teils einen stattlichen Ausschnitt der deutschen Gegenwartsliteratur, teils die persönliche Lektüre Krafts widerspiegelt.

Im letzten Kapitel räumt Kraft ein: "Wer sich erhofft hat, daß diese kleine Schrift uneitel, kompetent und ausgewogen über den 'Zustand' der deutschsprachigen Literatur der letzten zehn Jahre Auskunft gibt, wird enttäuscht sein. Zensuren werden zwar nicht verteilt, aber parteiisch ist sie schon, im naiven Glauben, für eine gute Sache zu werben. In diesem Sinne gibt es auch keine Verrisse, kaum Beleidigungen und nur wenige mahnende Worte. Auf Vollständigkeit wurde bewußt verzichtet, schließlich ist jeder Leser und Kritiker aufgefordert, noch bessere Texte zu finden." Dies verwundert nicht, denn schließlich ging es Kraft darum, eine "Werbeschrift" zu verfassen.

Das Buch ist allen zu empfehlen, die sich einen Überblick über die Romanlandschaft seit Mitte der neunziger Jahre verschaffen wollen. Auch wenn Kraft nicht alle dem öffentlichen Tenor nach wichtigen Autoren berücksichtigt hat, sondern beispielsweise Benjamin von Stuckrad-Barre, Zoë Jenny oder Judith Hermanns ausspart: Wer eine kritische Haltung zu dieser Literatur hat, wird hier vielleicht eines Besseren belehrt.

Krafts Buch ist ein Kaleidoskop vielbeachteter Romane des letzten Jahrzehnts, die er mal in einem Satz, mal zwei und mal auf einer Seite nach deren hervorstechenden Kennzeichen zusammenfaßt. Entstanden ist dabei eine Mixtur aus bekannten und noch nicht gehörten Namen und Titeln, im Anhang werden die erwähnten Autoren und Werke nochmals aufgelistet. Seine Sprache ist lebendig, originell, engagiert und beweist Wortwitz. Kraft bringt sein Lob der deutschen Prosa klar, aber erfreulicherweise nicht penetrant zum Ausdruck. Seinem Anspruch, fünfzehn Jahre deutscher Romanliteratur auf 127 Seiten darzustellen und zu erfassen, ist Kraft gerecht geworden.

Thomas Kraft: Schwarz auf weiß. Warum die deutschsprachige Literatur besser ist als ihr Ruf. Eine Werbeschrift. Kookbooks, Idstein 2005, 128 Seiten, broschiert, 14,90 Euro

Foto: Neue deutsche Literatur auf der Buchmesse Leipzig 2003: Keine Verrisse, kaum Beleidigungen


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