© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Die Vertreibung der Deutschen / Ostpreußen

Im Oktober 1944 nimmt die Rote Ar mee die ersten Gebiete in Ostpreußen bei Goldap. Dort kommt es zu blutigsten Exzessen und zu Massenvergewaltigungen an der Zivilbevölkerung. Nachdem es den deutschen Truppen vorübergehend gelingt, die Front wieder einige Kilometer nach Osten zu verschieben, setzt eine rasche Fluchtbewegung von Deutschen nach Westen ein.

Alle Zugverbindungen sind jedoch durch die hereinbrechende Front unterbrochen. Die Menschen fliehen zu Fuß, mit Handwagen oder Pferdefuhrwerken. Alte Männer und Frauen sitzen wenig geschützt vor dem eisigen Winter auf den Wagen, Mütter schieben kilometerweit Kinderwagen mit Kleinkindern. Es gibt keine hygienische und keine medizinische Versorgung, keine Lebensmittel, kaum Trinkwasser. Säuglinge und Kleinkinder sind die ersten Opfer. Sie fallen der Kälte zum Opfer oder verhungern.

Die schnell vorrückende Rote Armee überrollt buchstäblich Flüchtlingstrecks, die nicht schnell genug ausweichen können. Panzer schießen in die Wagen, russische Tiefflieger beschießen die Flüchtlingskolonnen. Zehntausende sterben an den Folgen der Kriegshandlungen, durch Verwundungen und Übergriffe. Wer von den russischen Soldaten eingeholt wird, dem drohen Mißhandlung, Vergewaltigung und Ermordung durch russische Soldaten. Aufgegriffene Männer, Jugendliche und Kriegsgefangene werden zu Hunderttausenden als "lebende Reparationszahlung" nach Rußland deportiert.

Besonders tragisch enden die Fluchtversuche über das zugefrorene Frische Haff, um nach etwa acht Kilometern die Frische Nehrung zu erreichen und von dort aus weiter zum rettenden Danziger Hafen zu gelangen, da Ostpreußen mit Erreichen des Frischen Haffs östlich von Elbing Ende Januar 1945 durch die sowjetische Armee eingekreist und vom Rest des deutschen Reiches abgeschnitten wird. Die Flüchtlinge müssen durch Eiswasser waten, jederzeit droht die Gefahr eines unsichtbaren Bombentrichters oder einer Bruchstelle im Eis. Zahlreiche Fuhrwerke brechen aufgrund der Beschießung durch sowjetische Tiefflieger ins Eis ein, die Menschen ertrinken und erfrieren scharenweise oder erliegen ihren Verwundungen. Ebenso tragisch endet in einigen Fällen der Versuch, mit Flüchtlingsschiffen aus der Umklammerung zu entkommen. Die von Sowjets torpedierten "Wilhelm Gustloff", "Steuben, "Goya" und auch kleinere Schiffe reißen Zehntausende mit in die Fluten der Ostsee.

Von den Zuteilungszahlen für die Lebensmittelversorgung von 1944 zufolge über 2,5 Millionen Personen kann sich etwa die Hälfte vor dem Eintreffen der Roten Armee nach Westen retten. Etwa 500.000 Ostpreußen kommen von Oktober 1944 bis Mai 1945 ums Leben; davon über 300.000 Zivilisten und etwa 200.000 Soldaten. Die verbliebenen Deutschen werden nach Kriegsende in Lager gepfercht und zur Zwangsarbeit eingeteilt. Grundeigentum wird entschädigungslos enteignet.

Wie in anderen deutschen Ostgebieten wie Pommern oder Schlesien verläuft die Vertreibung nach der Potsdamer Konferenz ab September 1945 schrittweise. Die deutsche Bevölkerung wird nach und nach durch slawische "Neusiedler" ersetzt. Bis zum Winter 1947 ist in Ostpreußen die Vertreibung nahezu komplett abgeschlossen.

Foto: Ausgewiesene Deutsche aus Pilsen warten auf ihren Abtransport


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