© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Hölle auf Erden
Im jugoslawischen Todeslager
Friedrich Glas, Geretsried

Ich wurde am 24. Juni 1933 zu Bulkes im ehemaligen Jugoslawien geboren. Mein Heimatort wurde im Jahre 1786 während der Regierungszeit Josef II. durch Deutsche aus mehreren süddeutschen Ländern gegründet und blieb, wie eine Vielzahl weitere deutsche Orte in der Batschka, bis 1944 eine rein deutsche Gemeinde.

Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges gehörte die Batschka zu Österreich-Ungarn. Danach wurde sie durch die Sieger geteilt und der südliche Teil mit Bulkes dem Königreich der Serbien, Kroaten und Slowenen zugesprochen, aus dem 1929 Jugoslawien hervorging. Nach 1941 wurde die Südbatschka an Ungarn angegliedert, um gegen Ende 1944 wieder zu Jugoslawien zu gehören.

Das erste Opfer aus unserer Familie war mein Onkel Fritz Glas. Er wurde während des Krieges 1941 als jugoslawischer Staatsbürger zur jugoslawischen Armee einberufen und als Soldat in einer Kaserne in Nisch wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit durch Soldaten der jugoslawischen Armee ermordet.

Mein Vater wurde gegen seinen Willen aufgrund des Staatsvertrages zwischen Ungarn und dem Deutschen Reich im Herbst 1943 zur Wehrmacht eingezogen. Er kam 1945 in russische Kriegsgefangenschaft und wurde im Juli 1945 nach Österreich entlassen.

Mit der Machtübernahme durch die Kommunisten im Oktober 1944 waren die verbliebenen Zivilpersonen von Bulkes Plünderungen, Vergewaltigungen, Folterungen, Gewalt und Erschießungen ausgesetzt.

Mein Großvater, Fritz Glas und mein Bruder Karl Glas wurden Mitte November 1944 zur Zwangsarbeit verschleppt. Nachdem mein Großvater dort arbeitsunfähig geworden war, wurde er im Juni 1945 in das berüchtigte Lager Jarek deportiert. Meinem Bruder gelang im Jahre 1947 die Flucht über Ungarn nach Österreich.

Obwohl meine Schwester Erna Glas noch keine zwei Jahre alt war, wurde meine Mutter zu Weihnachten 1944 zur Zwangsarbeit nach Rußland verschleppt. Von dort wurde sie Mitte 1947, krank und seelisch gebrochen, nach Mitteldeutschland entlassen.

Am 15. April 1945 wurden meine Schwester Erna und ich, meine Urgroßmutter, Großmutter und meine Tante väterlicherseits, sowie meine Urgroßmutter und Großmutter mütterlicherseits, mein Cousin Karl Lang und alle weiteren Bewohner von Bulkes aus unseren Häusern vertrieben und am 17. April 1945, ohne Lebensmittel und zusätzliche Bekleidung, ebenfalls in das Lager Jarek deportiert.

Jarek, offiziell als Lager mit Sonderstatus tituliert, bezeichneten wir Insassen bald als Hunger-, dann als Todes- und zuletzt als Vernichtungslager. Jarek, eng und scharf bewacht, war ein Ort mit einem Inferno von unvorstellbaren Grausamkeiten.

Jarek war vom 2. Dezember 1944 bis zum 17. April 1946 durch das gnaden- und rücksichtslose Gewaltpotential der serbischen Soldateska und deren kommunistischer Helfershelfer die wahr gewordene Hölle auf Erden: Schikanen, Entwürdigungen, Demütigungen, Schändungen, Peinigungen schlimmster Art, Totschlag, Erschießungen, Folter und Hunger waren allgegenwärtig und alltäglich. Jeder Lagerinsasse war vogelfrei. Von 15.000 volksdeutschen Lagerinternierten sind mindestens 7.000 Menschen ums Leben gekommen, davon sind 5.240 Tote namentlich dokumentiert. Dort ist meine Urgroßmutter, Katharina Kürschner im Alter von 83 Jahren am 29. April 1945 verstorben. Am 16. Mai 1945 sind meine Urgroßmutter Margarethe Glas im Alter von 84 Jahren, am 23. Mai 1945 meine Großmutter Julianna Glas im Alter von 65 Jahren verhungert.

Am 27. Juni 1945 ist meine Schwester Erna im Alter von etwas über zwei Jahren verhungert. Am 3. August 1945 verstarb meine Großmutter Katharina Lang im Alter von sechzig Jahren nach brutaler Gewalteinwirkung durch Partisanen.

Am 14. September 1945 wurden mein Schulfreund Peter Kendl und ich beim versuchten Bettelgang in die Nachbargemeinde Temerin durch zwei Partisanen gestellt. Peter Kendl, zwölf Jahre alt, wurde dabei vorsätzlich erschossen. Ich wurde durch einen Hals- und Körperdurchschuß lebensgefährlich verletzt. Ohne ärztliche Hilfe überlebte ich.

Am 7. Oktober 1945 ist mein Großvater Fritz Glas im Alter von 66 Jahren und am 19. Oktober 1945 meine Tante Magdalena Glas im Alter von 46 Jahren verhungert. Aus Bulkes wurden insgesamt 972 Personen in das Vernichtungslager Jarek eingewiesen. Davon sind innerhalb eines Jahres 664 durch Hunger, Fleckfieber, Ruhr, Erschöpfung, Folter und Gewalt ums Leben gekommen. Davon 167 Kinder unter 14 Jahren, 355 ältere Frauen und 142 ältere Männer. Am 15. April 1946 wurde ich ins Lager Kruschiwl, in ein Haus für Waisenkinder deportiert. Dort waren vom 12. März 1945 bis 10. Dezember 1947 insgesamt 7.000 Volksdeutsche interniert, von denen 3.000 bis 3.500 ums Leben kamen. Davon sind 2.103 Tote namentlich registriert. Darunter 17 Tote aus Bulkes. Nach einer Woche wurde ich in ein anderes Haus für Waisenkinder in das Vernichtungslager Gakowa deportiert. Dort war ich bis zum 17. April 1947 unter schlimmsten Bedingungen inhaftiert.

In Gakowa sind vom 12. März 1945 bis Anfang Januar 1948 durchschnittlich 17.000 Lagerinsassen inhaftiert gewesen. Davon sind mindestens 8.500 ums Leben gekommen. Nachweislich sind 5.827 Opfer namentlich dokumentiert. Allein aus Bulkes verstarben zwanzig Menschen, sieben Kinder unter 14 Jahren, acht ältere Frauen und fünf ältere Männer.

Von Gakowa wurde ich völlig unterernährt und körperlich verwahrlost durch Krätze, Eiterbeulen am gesamten Körper, Augenerkrankung und nach überstandener Malariaerkrankung, in ein Kinderheim nach Debeljatscha in das Banat verlegt. Hier erlernte ich die serbische Sprache und mußte mich der Slawisierung unterwerfen.

Nach etwa einjährigem Aufenthalt und körperlicher Erholung wurde ich in ein Kinderheim nach Plewlje in Montenegro, nach einem weiteren Jahr von dort nach Kotor und schließlich im Jahre 1948 zur Berufsausbildung nach Podgorica verlegt. Deutsch durfte nicht gesprochen werden, weder mit meinen zwei verbliebenen volksdeutschen Freunden noch mit den vielen in Podgorica inhaftierten deutschen Kriegsgefangenen. Dadurch verlernte ich die deutsche Sprache. Von dort gelang mir erst im Oktober 1950 die Ausreise zu meinen nunmehr in Österreich lebenden Eltern. Doch ich war ein Fremder in der Familie, durch die furchtbaren Erlebnisse körperlich unterentwickelt und seelisch krank. Die Folgen daraus beeinflußten mein gesamtes Leben.

Mein Cousin Karl Lang überlebte ebenfalls alle Vernichtungslager, er blieb alleinstehend und starb im Alter von 64 Jahren, psychisch gebrochen.

"Der lange Weg 1945", Radierung: Schikanen, Entwürdigungen, Demütigungen, Schändungen, Peinigungen schlimmster Art, Totschlag, Erschießungen, Folter und Hunger


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