© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/05 21. Oktober 2005

"Das wird erst aufhören, wenn ich tot bin"
Niederlande: Anti-Terror-Einsatz der Polizei / Sieben islamistische Extremisten festgenommen / Zweithöchste Alarmstufe
Jerker Spits

Die Niederlande sehen sich erneut mit der Gefahr des islamistischen Terrorismus konfrontiert. Letzten Freitag wurden bei Polizeiaktionen in Amsterdam, Den Haag, Leiden und Almere sieben Terrorverdächtigte festgenommen. Unter ihnen der 19jährige Samir Azzouz, der schon mehrfach wegen des Verdachts der Vorbereitung eines Anschlags festgenommen worden war.

Die sieben hätten Anschläge geplant. Der Hauptverdächtigte Azzouz habe nach Angaben der Polizei versucht, Schußwaffen und Sprengstoff zu kaufen. Der Sohn marokkanischer Einwanderer habe Anschläge auf Politiker und Gebäude verüben wollen. Das Regierungsviertel in Den Haag wurde während der Aktionen abgesperrt. Rund um den historischen Binnenhof, wo sich der Amtssitz des christdemokratischen niederländischen Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende befindet, wurden Passanten kontrolliert.

Die sechs Männer zwischen 18 und 30 Jahren und eine 24jährige Frau wurden am Montag dem Haftrichter in Rotterdam vorgeführt. Er ordnete eine zunächst 14tägige Untersuchungshaft an. Der niederländische Geheimdienst AIVD rechnet Azzouz zur Hofstad-Gruppe, der auch Mohammed B., der Mörder des Filmemachers Theo van Gogh (JF 48/04), angehörte. Laut AIVD handelt es sich bei der Hofstad-Gruppe um ein terroristisches Netzwerk von etwa zwei Dutzend Islamisten.

Chemikalien zum Bau von Bomben und Flugpläne

In einem aufsehenerregenden Urteil wurde Azzouz im April von einem Rotterdamer Gericht freigesprochen. Der Richter meinte damals, die Staatsanwaltschaft habe die Anklage gegen ihn nicht genug beweisen können. Bei einer Hausdurchsuchung hatte man bei Azzouz Chemikalien zum Bau von Bomben und detaillierte Flugpläne vom Amsterdamer Flughafen Schiphol, vom niederländischen Parlamentsgebäude und vom Gebäude des Geheimdienstes gefunden. Weil die Materialien aber nicht zum Bau einer funktionierenden Bombe taugten, wurde er wegen "mangelnder Beweise" freigesprochen.

In einem Interview mit der Tageszeitung Trouw hatte Azzouz erklärt, froh für Mohammed B. zu sein. Der habe mit seiner lebenslangen Haftstrafe Allah ein Opfer bringen können. Der niederländische Geheimdienst sei hinter ihm her. "Das wird erst aufhören, wenn ich tot bin. Ob das noch lange dauert? Wir werden sehen". Azzouz ist in den Niederlanden geboren und aufgewachsen. Er besuchte die orthodox-islamische Assidieq-Schule in Amsterdam. Als 14jähriger Schüler war er begeistert von den WTC-Anschlägen in New York. Als 16jähriger reiste er nach Tschetschenien, um sich in der Kaukasusrepublik von Terroristen ausbilden zu lassen. Zurück in den Niederlanden wurde er angeklagt, aber freigesprochen.

Die Sicherheitsbehörden erklärten, mit den Festnahmen einem Attentat zuvorgekommen zu sein. "Wir haben eine akute Bedrohung beseitigt", meinte auch Innenminister Johan Remkes von der rechtsliberalen VVD. Remkes erklärte allerdings auch, die Hofstad-Gruppe habe ihr Netzwerk erweitert.

Seit den Anschlägen vom 7. Juli in London gilt in den Niederlanden die zweithöchste Alarmstufe. Der niederländische Geheimdienst hatte in den letzten Wochen davor gewarnt, gewalttätige Islamisten könnten in den Niederlanden am 2. November zuschlagen. An diesem Tag ist es ein Jahr her, daß der islamkritische Filmregisseur Theo van Gogh in Amsterdam auf offener Straße von einem radikalen jungen Marokkaner ermordet wurde.

Laut niederländischen Zeitungen hat es in den letzten Wochen mehrere Todesdrohungen gegen die islamkritische Parlamentsabgeordnete Ayaan Hirsi Ali (VVD) und den Ex-VVD-Politiker Geert Wilders gegeben. Beide Politiker werden schon seit Monaten rund um die Uhr bewacht (JF 14/05).

Regierung rechnet mit weiteren Anschlägen

Am letzten Freitag ließ ein Gericht eine neue Anklage gegen Mohammed B. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu. Sein Anwalt Peter Plasman sprach von einem "Schauprozeß" gegen seinen Klienten. B. war zuvor bereits zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Er hatte die Tat im Prozeß gestanden und schämte sich dessen nicht. Vom Gefängnis aus hatte B. versucht, erneut Kontakte zu anderen gewaltbereiten Moslemextremisten zu knüpfen.

EU-Justizkommissar Franco Frattini sagte nach den Verhaftungen in den Niederlanden, die Ereignisse zeigten, daß der Terrorismus eine dauernde Gefahr für Europa darstelle. Die niederländische Regierung rechnet mit weiteren Selbstmordanschlägen. Laut AIVD-Informationen hätten Mitglieder der Hofstad-Gruppe in den letzten Monaten versucht, junge Frauen anzuwerben.


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