© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/05 21. Oktober 2005

Erpreßte Petitessen
Stalins Interesse an Hitler
Doris Neujahr

Die Herausgeber haben mit der Titelwahl "Das Buch Hitler" unterstrichen, daß der Ruf des Führers nach ihrer Meinung biblische Dimensionen erreicht hat. Es handelt sich um ein Geheimdossier, das der sowjetische NKWD aufgrund der Verhörprotokolle von Hitlers Kammerdiener Heinz Linge und seinem Adjutanten Otto Günsche für Josef Stalin zusammengestellt hat.

Das Buch war eine Gute-Nacht-Lektüre für den sowjetischen Diktator, und so liest es sich auch. Die hier festgehaltenen "unzähligen Details", behauptet der Klappentext, seien "von geradezu sensationellem historischem Wert". Horst Möller, Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, hat diesen Anspruch in seinem Vorwort deutlich reduziert: Das Manuskript ist "auf das Persönliche und das Alltagsleben konzentriert, eine Strukturgeschichte der Herrschaft war ebensowenig (seine) Sache wie die psychologische Deutung des Typus Hitler im Kontext der Krisen der 1920er und 1930er Jahre".

Wer schon immer einmal Geschichte und Geschichten aus Onkel Adolfs Nähkästchen erfahren wollte, wird gut bedient. Wer hätte gedacht, daß Hitler sich über die Nase der Wagner-Enkelin Verena lustig machte? Wahre Hitler-Experten werden jedoch feststellen, daß auch die neumalklugen, fußnoten- und anmerkungswütigen Herausgeber längst nicht alles wissen. Nur ein Beispiel: Die Behauptung im Text, Hitler sei Ende Februar 1945 an einem Hals-Abzeß operiert worden, lassen sie unwidersprochen durchgehen. In Wahrheit fand die Operation bereits im November 1944 in Berlin statt, gleich nachdem Hitler sein ostpreußisches Hauptquartier bei Rastenburg endgültig verlassen mußte.

Die Mitteilungen Linges und Günsches sind während jahrelanger Haft und nach teilweise schweren Folterungen durch die Schergen des NKWD zustande gekommen. Der grundsätzlichen Frage, welchen Quellenwert erpreßte Aussagen deutscher Gefangener überhaupt haben, weichen sowohl die Herausgeber Henrik Eberle und Matthias Uhl als auch Horst Möller aus. Warum eigentlich?

Henrik Eberle, Matthias Uhl: Das Buch Hitler. Geheimdossier des NKWD für Josef W. Stalin. Lübbe Verlag, München 2005, 672 Seiten, gebunden, Abbildungen, 24,90 Euro


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