© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

Nürnberger Prozeß für Honecker
Geschichtspolitik: Experten verfolgen den Weg, den die Vergangenheitsbewältigung seit dem Ende des Kommunismus genommen hat / Tagung in Weimar
Ekkehard Schultz

Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur - Eine Zwischenbilanz in vergleichender Perspektive": Unter diesem Motto lud die Stiftung Ettersberg am vergangenen Wochenende zu einem internationalen Symposium in Weimar ein. Rund 200 Wissenschaftler, Bürgerrechtler, Politiker und Vertreter von Opferverbänden diskutierten und stritten über die bislang beschrittenen Wege, über die Intensität und Glaubwürdigkeit der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit und die Wahrnehmung des Themas in der Öffentlichkeit.

Bereits im Einführungsvortrag wies der Vorsitzende der Stiftung Ettersberg, Hans-Joachim Veen, auf Defizite hin. Den zentralen Bezugspunkt der heutigen deutschen Erinnerungskultur stelle "seit den siebziger Jahren in der alten Bundesrepublik" die nationalsozialistische Diktatur und der Holocaust dar. Daran habe sich nach der Wiedervereinigung nichts Grundlegendes geändert. Problematisch sei nun allerdings, daß durch diese Dominanz die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur bisher nicht die gebührende Geltung erringen konnte. Zwar lehnte Veen "fragwürdige Gleichsetzungen beider Diktaturen" ab, aber ebenso den allgemeinen "Trend zur Verharmlosung" des Kommunismus und zur "nostalgischen Verklärung der DDR".

Letztere Entwicklungen seien "nicht nur ärgerlich", sondern "tendenziell antidemokratisch, weil sie die jüngeren Generationen desensibilisiert", statt sie gegenüber den Gefährdungen der freiheitlichen Demokratie zu "immunisieren". Deshalb müsse nach Wegen gesucht werden, diesem Trend zu begegnen und dafür zu sorgen, daß neben der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Diktatur auch diejenige mit dem Kommunismus "den ihr zustehenden Platz in der Gesellschaft" bekomme.

Bilanz der bisher geleisteten Aufarbeitung

Der Schwerpunkt der Diskussionen lag allerdings stärker auf der Bilanz der bisherigen Aufarbeitung dieses Teils nationaler und internationaler Geschichte. Neben dem "Kommunismusbild in der alten Bundesrepublik", der Auseinandersetzung mit Ereignissen der DDR wie dem 17. Juni 1953 und dem 13. August 1961 in der westdeutschen Erinnerungskultur wurden die unterschiedlichen Wege bei der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik und der DDR skizziert.

Die Teilnehmer, darunter die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Marianne Birthler, und ihr Vorgänger Joachim Gauck, beleuchteten auch die Entwicklung der Erinnerung an die kommunistische Diktatur in den vergangenen Jahren, wobei alle Referenten auf die immer noch vorhandenen großen Unterschiede in den Perspektiven zwischen West und Ost hinwiesen.

Kontroversen gab es sowohl im Publikum als auch auf dem Podium: Insbesondere von den anwesenden Politikern, so von Arnold Vaatz (CDU), aber auch von Vertretern von Opferverbänden wurde grundsätzliche Kritik an der Art und Weise der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Kommunismus durch in erster Linie westdeutsche Historiker geäußert. Diese ließen in der Form ihrer Darstellungen mitunter deutlich erkennen, daß sie der kommunistischen im Vergleich zur nationalsozialistischen Diktatur nur einen deutlich nachgeordneten Rang einräumten. Beklagt wurde zudem die ungenügende juristische Aufarbeitung des kommunistischen Unrechts: Verfahren nach der Art der "Nürnberger Prozesse" habe es nach 1990 in keinem Land gegeben. Damit sei ein wichtiger pädagogischer Effekt verlorengegangen.

Eindruck einer "moderaten" Diktatur

Die äußerst milden Strafen oder gar Freisprüche trotz erheblicher Menschenrechtsverletzungen erweckten in der Öffentlichkeit den Eindruck, es habe sich beim Kommunismus um eine eher "moderate" Diktatur gehandelt.

Auf diese Kritik ging Maria Schmidt, Direktorin des Budapester "Hauses des Terrors", ein. Schmidt beklagte, daß westdeutsche und westeuropäische Wissenschaftler, die nie unter den Bedingungen der kommunistischen Diktatur leben mußten, die Ungarn nach 1990 zunächst aufgefordert hätten, sich der eigenen Verstrickungen in den Nationalsozialismus zu widmen. Dies zeige ein eklatantes Unverständnis dafür, daß großen Teilen des ungarischen Volkes nach mehreren Jahrzehnten kommunistischer Diktatur die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus zunächst ein dringenderes Bedürfnis war, während sie von ungarischen Wissenschaftlern als mindestens ebenbürtig angesehen wurde. Vielmehr müsse das Verständnis für heterogene Geschichtsbilder und damit auch eine unterschiedliche Strategie der Aufarbeitung akzeptiert werden.

Das Ziel sei, ein besseres Verständnis für die vielfältigen Wahrnehmungen in den unterschiedlichen Staaten zu entwickeln, und nicht, diese künstlich einzuebnen. Als konkretes Beispiel für den Versuch der Aufdrängung einer Art der Aufarbeitung nannte Schmidt die massive Kritik aus westlichen Ländern am Prozeß und der Hinrichtung des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu Ende Dezember 1989 - obwohl dieser selbst noch zu Weihnachten 1989 für ein Blutbad an friedlichen Demonstranten die Verantwortung getragen habe.


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