© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

Kein Rechtspopulist
Polen II: Lech Kaczynski wird neuer Staatspräsident
Lubomir T. Winnik

Erneut lagen die Demoskopen und westlichen Journalisten arg daneben, und noch am Freitag vor der Wahl prognostizierte das polnische Fernsehen einen klaren Wahlsieg des "liberalen" Donald Tusk. Doch Lech Kaczynski, der amtierende Stadtpräsident von Warschau, gewann am 23. Oktober mit 54,04 Prozent der Stimmen klar die Stichwahl um das Amt des polnischen Staatspräsidenten.

Fast die Hälfte der Polen blieb dem dritten Urnengang innerhalb von zwei Monaten aber fern. Das Desinteresse, besser gesagt die politische Resignation hat viele Gründe. Nach dem Systemwechsel 1989/90 hofften die Polen auf Freiheit und raschen Wohlstand. Statt dessen wurden sie den ungezügelten Auswüchsen der Neukapitalisten ausgesetzt, welche im Bündnis mit den Altkommunisten die neue Demokratie verkörperten.

Kaczynskis sagte dem Volk unentwegt das, was die Enttäuschten hören wollten. Im Ausland wurde er deshalb als "Rechtspopulist" verteufelt. Sein "altmodisches" Familienbild und seine "archaischen" Moralvorstellungen taten ein übriges. Doch Lech Kaczynski sollte nicht durch die westliche Brille betrachtet werden. Will man ihn und seine Partei PiS verstehen, sind die Worte Goethes das ratsamste Rezept: "Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen." Der polnische Soziologe Jacek Raciborski meint, daß Lech Kaczynski deshalb gewonnen habe, weil er die Vision eines Fürsorgestaates in Aussicht gestellt hat - verbunden mit traditionellen Werten und dem überzeugenden Versprechen der harten Bestrafung von Verbrechern.

Auch die alte Weisheit, daß nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, bestätigte Lech Kaczynski: Polen brauche nicht nur die "Abrechnung", sondern auch die "Versöhnung". Er sprach inzwischen großmütig über den unterlegenen Donald Tusk. Der sollte am besten den einflußreichen Posten des Sejm-Marschalls (Parlamentspräsidenten) übernehmen.

Damit dürfte seitens Kaczynski der angestrebten Koalitionsregierung mit Tusks Partei nicht viel entgegenstehen.


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