© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

Nicht unter einem Dach
Vogelgrippe II: Die Angst ist keineswegs unbegründet
Harald Ströhlein

Mit bedrohlichen Geflügelkrankheiten muß sich der Mensch schon seit längerem herumschlagen. Anfang des 19. Jahrhunderts machte die gefürchtete Geflügelcholera die Runde. Deren Erreger wurde jedoch relativ schnell im Blut von Hühnern nachgewiesen, und findige Forscher entwickelten ebenso zügig ein Verfahren, welches effektiven Schutz gegen die verheerende Seuche bot. Im übrigen wurde damit der Grundstein für die heute gegen zahlreiche Infektionen wirksamen Immunisierungsmaßnahmen gelegt.

Auch wenn uns die Medien weis-machen wollen, neues Unheil drohe dem Menschen: Die Vogelgrippe mit ihren Variationen ist eine altbekannte Erkrankung beim Geflügel. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie erstmalig nachgewiesen. Und zwar nicht in Asien, sondern in Norditalien, weshalb sie unter dem Namen "Lombardische Hühnerpest" berühmt wurde. In Deutschland trat sie erstmalig im Jahre 1901 im Umfeld einer Geflügelausstellung in Erscheinung. Seitdem machte das Virus in aller Herren Länder - eher unterschwellig - die Runde.

Erst als es kurz vor dem Jahrtausendwechsel ans Eingemachte ging und Menschen wegen eines mit bloßem Auge nicht sichtbaren Feindes ihr Leben ließen, erlangte die Vogelgrippe weltweit traurige Berühmtheit. Seitdem steht sie im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Vor kurzem gingen amerikanische Forscher mit der Hiobsbotschaft an die Öffentlichkeit, daß eine Abwandlung des Vogelgrippe-Virus die "Spanische Grippe" im Jahre 1918 verursachte und bis zu 25 Millionen Menschen das Leben kostete. Fest steht auch, daß die sogenannte "Z+"-Variante des H5N1-Virus nicht nur Geflügel, sondern auch andere Tierarten und den Menschen befallen kann: ein Virus, das den Tod mehrerer Millionen Hühner in nur zwei asiatischen Ländern alleine in diesem Jahr brachte.

Nun sind unsere Gepflogenheiten hierzulande zu jenen in Thailand oder Vietnam deutlich verschieden. In der Regel schlafen wir mit unserem Federvieh nicht unter einem Dach, und eine direkte Übertragung ist entsprechend unwahrscheinlich. Auch relativieren Experten die mögliche Vermischung zwischen dem humanen Grippevirus und dem Geflügelvirus. Erst ein gleichzeitiger Kontakt mit beiden Viren hätte eine Verbreitung in der Bevölkerung zur Folge, wobei eine Ansteckung von Mensch zu Mensch noch nicht beobachtet wurde.

Um so unverständlicher, daß in puncto Grippeschutzimpfung in Deutschland seit Tagen Ausverkauf herrscht. Bislang wurden etwa 22 Millionen Dosen verabreicht, wobei die Industrie verspricht, die gleiche Menge nochmals aufzulegen. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt; von rationaler Vernunft jedenfalls kann keine Rede sein.

Dennoch ist die Angst vor der Vogelgrippe keineswegs unbegründet. Nicht zuletzt ist sie eine Tierseuche, die landwirtschaftliche Tierbestände und damit die Existenz zahlreicher Betriebe bedroht. Die althergebrachte Quarantänemaßnahme, die schon vor Jahrhunderten vor der Pest bewahrte, scheint trotz High-Tech-Medizin das Mittel der Wahl. Daß ein Virus allerdings Ländergrenzen nicht scheut, hat es bereits bewiesen und sollte sich in Brüssel mittlerweile herumgesprochen haben.


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