© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Maschinengewehre statt Rebstöcke
Regierungsbildung: Bei ihren Koalitionsverhandlungen behandeln Union und SPD das Thema Verteidigung stiefmütterlich / Erste Rückschläge für Jung
Paul Rosen

Die Wehrpflicht bleibt, die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch auch: Lange hatten die Vertreter von Union und SPD nicht zu verhandeln, um sich über die Zukunft der Bundeswehr in der Großen Koalition einig zu werden. Heraus kamen solche Sätze wie: "Die Bundesregierung bekennt sich zur allgemeinen Wehrpflicht. Diese Dienstpflicht ist nach wie vor die beste Wehrform." Auch unter der Großen Koalition, wenn sie nach dem Rücktritt von SPD-Chef Franz Müntefering überhaupt noch zustande kommen sollte, bleibt die Bundeswehr, was sie zuvor unter Rot-Grün war: eine unterfinanzierte und für internationale Einsätze schlecht ausgerüstete Armee.

Schneller Verzicht auf das Verteidigungsministerium

Welchen Stellenwert Verteidigungspolitik in den Regierungsparteien hat, zeigt die Personalbesetzung. Die SPD als Juniorpartner in der Koalition wollte das Außenministerium und ließ damit den Anspruch auf das Verteidigungsressort schnell fallen. Amtsinhaber Peter Struck, der den Mangel recht gut verwaltete, soll die Fraktion übernehmen.

In der Union gab es ein wochenlanges Hin und Her, wer Verteidigungsminister werden könne. Lange Zeit favorisiert war CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, der zwar viel von Wirtschaft, aber nichts von der Bundeswehr versteht. Erst als CSU-Chef Edmund Stoiber seine Partei wieder mehr auf sozialen Kurs trimmen wollte und Horst Seehofer für das Kabinett nominierte, war für Glos kein Platz mehr frei, und das Verteidigungsministerium ging an die CDU. Die Merkel-Truppe war mehr erstaunt als erfreut. In der großen Volkspartei gab es keinen geeigneten Bewerber. Kanzlerkandidatin Angela Merkel hatte dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als Gegenleistung für dessen Stillhalten bei ihrer Nominierung einen Ministerposten zugesagt, für Koch kam nur Franz Josef Jung in Frage.

Jung, der aus einer Weinbauernfamilie stammt, war jahrelang Kochs rechte Hand gewesen. Er mußte im Zuge der hessischen Spendenaffäre seinen Stuhl als Staatskanzleichef räumen, feierte aber bald danach als Fraktionsvorsitzender im Landtag seine politische Wiederauferstehung. Jung sollte ohnehin als Kochs Aufpasser nach Berlin und stand auf Platz eins der hessischen CDU-Liste. Da aber das für ihn maßgeschneiderte Landwirtschaftsressort von der CSU beansprucht wurde, blieb für den Hessen nur die Verteidigung. Statt mit Rebstöcken hat sich Jung künftig mit Maschinengewehren zu beschäftigen.

Die ersten Gehversuche des Hessen auf bundespolitischer Bühne endeten in einem Desaster. Jung nahm eine alte Forderung aus der Hessen-CDU wieder auf und sprach sich für eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen aus. SPD, FDP und Grüne droschen auf den künftigen Minister ein. Nach Abschluß der Koalitionsverhandlungen stellte sich der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, hin und erklärte, die SPD habe die Wehrpflicht gerettet. Dabei hatte von der Union niemand in den Verhandlungen die Wehrpflicht in Frage gestellt. Seitdem schweigt Jung und läßt sich höchstens noch mit Bemerkungen zitieren, als Weinbauer habe er natürlich nichts gegen Biertrinker. Zur Bundeswehr sagt er vor seiner Vereidigung nichts mehr.

In den Verhandlungen mit der SPD hatte sich die Union in keinem einzigen Punkt durchsetzen können. Das von CDU und CSU entwickelte Heimatschutzkonzept verschwand ganz schnell im Papierkorb. Vorgesehen war, zusätzliche, überwiegend mit Wehrpflichtigen belegte Standorte einzurichten, die von Hilfe bei Katastrophen bis zu Wach- und Sicherungsaufgaben Aufträge in der jeweiligen Region erfüllen sollte. Das Konzept war von Anfang an umstritten. Fallen gelassen wurde es schließlich aus Kostengründen, die Aufstellung von Heimatschutzbataillonen hätte mehrere Millionen Euro gekostet. Und selbst Berufsoptimisten unter den Verteidigungspolitikern aller Fraktionen gehen nicht mehr davon aus, daß es in Zukunft mehr Geld für die Bundeswehr geben wird. Das zweite zentrale Anliegen der Union war der Einsatz der Bundeswehr im Innern. Auch hier legte sich die SPD quer. Lediglich eine Öffnungsklausel wurde in diesen Passus des Koalitionsvertrages geschrieben: "Soweit für solche Gefährdungen der Sicherheit unseres Landes gesetzmäßiger oder verfassungsrechtlicher Regelungsbedarf besteht, wird die Bundesregierung Initiativen vorlegen", heißt es in der Vereinbarung.

Der Regelungsbedarf ergibt sich eventuell aus einem für das nächste Frühjahr erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz. Bereits Bundespräsident Horst Köhler hatte schwere Bedenken gegen das Gesetz angemeldet, das den Abschuß entführter Flugzeuge durch die Bundeswehr erlaubt.

Sollte sich das Bundesverfassungsgericht diesen Bedenken anschließen, muß das Grundgesetz geändert werden, um weiterhin Kampfjets einsetzen zu können. Das wird die SPD noch mitmachen, mehr aber auf keinen Fall. Und da nach Münteferings Rücktritt ein Linksruck zu erwarten ist, dürfte die Union keinen Schritt mehr weiterkommen.


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