© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

"Politik sollte gut überdacht sein"
Iran: Die anti-israelischen Drohungen von Präsident Ahmadi-Nedschad haben ihm auch innenpolitisch geschadet
Günther Deschner

Die Aufregung über die Rede des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadi-Nedschad, die er vergangene Woche am Vorabend des diesjährigen Jerusalem-Tages vor Studenten in Teheran gehalten und in der er seine freudige Erwartung der "baldigen Vernichtung Israels" zum Ausdruck gebracht hat, ist groß.

Der Al-Quds-Tag, der in der arabisch-muslimischen Welt seit 1979 begangen wird, soll kämpferisch daran erinnern, daß Israel den arabisch-muslimischen Ostteil Jerusalems völkerrechtswidrig besetzt und annektiert hat. An diesem Tag kocht bei vielen Muslimen in der ganzen Welt der Haß auf Israel, den "kleinen Satan", und auf dessen Schutzmacht USA, den "großen Satan", so richtig hoch.

Die Deutsche Presse Agentur (dpa) hat inzwischen eine wörtliche Übersetzung der Rede vorgelegt. Demnach hat sich der iranische Präsident, dessen ohnmächtige Wut darüber, daß sich Israel anscheinend alles ungestraft erlauben kann, schon lange bekannt ist, ganz auf den Schöpfer des iranischen Gottesstaats berufen:

"Der Imam (Ajatollah Khomeini) hatte das Verschwinden des Staates Israel von der politischen Bühne prophezeit, genauso wie er das Ende des Ostblocks und des irakischen Machthabers Saddam Hussein prophezeit hatte. Das mit dem Ostblock und Saddam ist eingetreten. Wir haben das erleben dürfen. Inschallah (so Gott will) wird die Prophezeiung des Imams bezüglich der Vernichtung Israels durch kontinuierliche Weisheit der Palästinenser auch bald realisiert werden. Eine neue Welle (in Palästina) ist im Anmarsch, und es ist machbar, daß dieser Schandfleck (der Staat Israel) aus der islamischen Welt getilgt wird ..."

In der Sache hat Ahmadi-Nedschad also kaum etwas Neues gesagt. Schon seit dem Ende des Schahregimes 1979 stellt der Iran Israels Existenzrecht in Zweifel. Die Formel "Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land", mit der die zionistische Bewegung einen eigenen Staat ausgerechnet im dicht arabisch besiedelten Gebiet durchsetzte, wird in Teheran hartnäckig als die "Lebenslüge des Zionismus" gebrandmarkt und für die seit der Gründung Israels real existierende Hölle aus Gewalt und Gegengewalt in Palästina verantwortlich gemacht. Dem entspricht, daß der Iran offen, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, Palästinensergruppen unterstützt, die gegen die israelische Besatzungspolitik oder, wie der Islamische Dschihad, für eine Zerstörung Israels kämpfen. Dabei handle es sich jedoch nur um eine moralische Unterstützung, erklärte der Iran stets.

Die instinktlose Kraftmeierei in der Rede Ahmadi-Nedschads, der als Repräsentant der erzkonservativen Strömung seit August Präsident in Teheran ist, hat jetzt international wie ein Alarmsignal gewirkt. Überall auf der Welt werden seine Worte als Auftakt zu einer neuen, offen aggressiven Anti-Israel-Politik verstanden. In den Ohren derer, die das gerne so hören möchten, klingen sie wie die Ankündigung eines Vernichtungsschlags.

Dabei wird jeden Tag schärfer sichtbar, daß der Iran und sein Siebzig-Millionen-Volk eine Menge anderer Probleme haben als den Ärger der Muslime über Israel. Seit Jahren ist der Iran in den Augen der "einzigen Weltmacht" ein "Schurkenstaat". Mehrfach hat Washington offen angekündigt, daß es auch dort einen Systemwechsel herbeizuführen gedenkt und daß dafür verdeckte Operationen vorbereitet werden. Seit der Enthüllung Seymour Hershs vom Januar dieses Jahres im New Yorker weiß die ganze Welt auch von den Planungen für einen US-Militärschlag. Die Diskussionen über die iranische Atompolitik hängen damit zusammen und spitzen sich zu. Verbale Entgleisungen eines Regierungschefs, die den Feinden Irans Vorwände oder Gründe für eine weitere Eskalation liefern, legen die Vermutung nahe, daß Ahmadi-Nedschad womöglich noch weit mehr abgeht als die rudimentärste außenpolitische und diplomatische Erfahrung.

Die einflußreiche Geistlichkeit Irans, bei der die Fäden der Macht zusammenlaufen, bemüht sich seit Tagen erschrocken um Schadensbegrenzung. In den Freitags-Predigten betonten Geistliche, der Iran respektiere sowohl Juden als auch das Judentum. Selbst der sonst so kompromißlose Khomeini-Nachfolger und höchste Geistliche im Iran, Ajatollah Ali Khamenei, übte deutliche Kritik an Ahmadi-Nedschad: "Jegliche Politik sollte gut überdacht sein. Ich werde jedenfalls dafür sorgen, daß es so sein wird." Khamenei ordnete an, zukünftig alle Regierungsaktivitäten von einem Komitee überwachen zu lassen. Der bei der Präsidentschaftswahl unterlegene Kandidat Rafsandschani wird ihm vorstehen. Er soll autorisiert werden, die Regierungspolitik zu bestimmen.

Diese Reaktionen sind allein schon wegen ihres Sachgehalts wichtig. Darüber hinaus unterstreichen sie aber auch die tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen großen Teilen des Establishments und dem Präsidenten. Aufmerksame Beobachter, übrigens vor allem in Israel, haben schon vor drei Monaten, kaum daß Ahmadi-Nedschad als Präsident etabliert war, auf solche Spannungen hingewiesen. Damals ärgerte der Präsident die Majlis, das iranische Parlament, als er die Antworten auf die Fragen nach den Grundzügen seiner Politik schlichtweg verweigerte. Seither werden Ahmadi-Nedschads Schritte auch im Iran mißtrauisch registriert.

Es hat sich schon allerhand angesammelt: Der Präsident mißachtet die Ratschläge führender Wirtschaftsfachleute, die dringend eine andere Ölpolitik verlangen. Er hat seine einstigen Anhänger und Förderer aus dem fundamentalistischen Lager verärgert.

Verdutzt mußten sie mit ansehen, wie er einflußreiche und lukrative Posten in Regierung und Verwaltung mit Revolutionswächtern, Geheimdienstlern und Freunden besetzte, deren ultrakonservative Ansichten sogar den Mächtigen im islamischen Establishment zu weit gehen. Beobachter halten für möglich, daß die verbale Munition, die Ahmadi-Nedschad verschossen hat, auch für ihn zum Rohrkrepierer wird.

Foto: Ahmadi-Nedschad bei Anti-Israel-Kundgebung: Kraftmeierei


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