© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Wieder in Lohn und Brot bringen
Sozialpolitik: Ein steuerfinanziertes Kombilohn-Modell könnte eine Alternative zu den umstrittenen Hartz-IV-Regelungen bieten
Josef Hämmerling

Bei der umfassenden Reform des Arbeitsmarktes kommen wir mit großen Schritten voran", be-hauptete Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement in seinem Vorwort zum "Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005". Durch die Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen werde aber "die Bundeskasse im Jahr 2005 voraussichtlich um mehrere Milliarden Euro stärker belastet als angenommen", beklagt der SPD-Politiker. Daß das Arbeitslosengeld (ALG II) in diesem Jahr statt der geplanten 14,6 Milliarden Euro nun möglicherweise bis zu 25 Milliarden Euro kostet. liege vor allem an "Mißbrauch, 'Abzocke' und Selbstbedienung im Sozialstaat". Angeblich jeder zehnte Langzeitarbeitslose erhalte das ALG II unrechtmäßig, behauptet Clement.

Doch daß ALG II für manche attraktiver als Arbeit erscheint, hat seinen Grund auch in Gesetzesfehlern. Hinzu kommt, daß der Nettolohn für immer mehr Arbeitsstellen nur geringfügig über den gesamten ALG-II-Leistungen liegt. Durch eine Steuergutschrift für Geringverdiener und das Streichen aller Zuschläge beim ALG II, das sogenannte Kombilohn-Modell, ließe sich nach einer Ausarbeitung des Kölner Institutes der deutschen Wirtschaft (IW) aber der Abstand vergrößern. Dadurch würde sich nach IW-Meinung der Anreiz erhöhen, auch für einen geringen Verdienst arbeiten zu gehen.

Besonders gilt dies für die sogenannten Geringqualifizierten. Ihre Arbeitslosenquote liegt bei etwa fünfundzwanzig Prozent, gegenüber zehn Prozent bei Fachkräften und vier Prozent bei Akademikern. Bei Alleinverdienern mit Frau und Kindern ist der Nettolohn oft sogar geringer als das ALG II mit seinen Zusatzleistungen. Das bringt für viele keinen Anreiz, acht oder neun Stunden am Tag arbeiten zu gehen.

Nach Ansicht des unternehmernahen IW reichen die bisherigen Maßnahmen zur Verhinderung dieses Mißbrauchs nicht aus: nämlich die Verpflichtung der Arbeitslosen, jede von der Arbeitsagentur angebotene Stelle anzunehmen. Denn zum einen sei es für viele mit etwas Geschick noch immer kein Problem, sich vor einen angebotenen Arbeitsplatz zu drücken. Und zum anderen sei die Bezahlung nicht attraktiv. Das Problem seien dabei der beim ALG II vom Staat bezahlte (befristete) 160-Euro-Zuschlag bei höherem früheren Verdienst sowie der Kinderzuschlag.

Daher sprach sich das IW dafür aus, beide Zuschläge abzuschaffen. Das würde die Wirksamkeit der Hartz-IV-Reformen kurzfristig verbessern. Langfristig sei aber ein "integriertes Steuer-Transfer-System" die beste Lösung, um für Geringqualifizierte Anreize zur Arbeitsaufnahme zu schaffen. Dazu schlägt das IW vor, daß es für Verdienste unterhalb einer bestimmten Einkommensschwelle vom Finanzamt etwas dazugibt, während oberhalb dieser Einkommensschwelle Steuern fällig würden.

Das könnte so aussehen: Bezieher niedriger Einkommen, die sogenannten Mini-Jobber, werden von der Steuerzahlungspflicht nicht länger befreit. Vielmehr kommt der Staat für sie im Rahmen der Steuergutschrift auf. Gleichzeitig werden das ALG II und die Sozialhilfe abgeschafft. Dafür erhalten Haushalte, deren Einkommen unterhalb der Grenze liegt, ab der Einkommensteuer zu zahlen ist, eine Steuergutschrift. Diese umfaßt pauschal alle Leistungen. Das bedeutet, daß Unterkunftskosten anders als heute nicht gesondert von der Kommune übernommen werden. Damit entfällt dann auch die leidige Diskussion, welcher Wohnraum als angemessen gilt.

Darüber hinaus wird der Bedarf für Kinder den IW-Plänen zufolge nicht mehr dem Haushaltsbedarf zugerechnet, sondern ausschließlich über das Kindergeld abgedeckt. Ebenso entfallen Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende. Für diese wie für große Familien ist es derzeit lukrativer, ALG II zu beziehen, statt zu arbeiten. Denn beim ALG II sind die Leistungen für Kinder erheblich höher als das Kindergeld.

Nach Berechnungen des Berliner Instituts würde nach ihrem Modell ein Verheirateter mit zwei Kindern und einem Bruttoverdienst von 2.000 Euro ein verfügbares Einkommen von 1.853 Euro behalten - einige hundert Euro mehr als bislang. Das gleiche gilt für Alleinstehende, die bei einem Brutto von 2.000 Euro immerhin noch 1.308 Euro behalten würden - ebenfalls deutlich mehr als nach der bisherigen Regelung.

Dieses Kombilohnmodell ist nach wie vor umstritten, obwohl man in Großbritannien, Frankreich und den USA zum Teil gute Erfahrungen damit gemacht hat. Besonders im US-Dienstleistungssektor - etwa bei den Einpackern an Supermarktkassen - sei es dadurch geradezu zu einem Beschäftigungszuwachs gekommen. Einig sind sich Ökonomen aber darin, daß ein derartiges Modell nur sinnvoll ist, wenn es flächendeckend im ganzen Land eingeführt und nicht regional begrenzt wird, meint das IW. Der Kombilohn-hat bei Union und FDP schon Fürsprecher gefunden. Der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sagte der Berliner Morgenpost, dies sei ein "wichtiger Punkt, um insbesondere Geringqualifizierte wieder in Lohn und Brot zu bringen". Dagegen ist der Kombilohn nach Ansicht des arbeitsmarktpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion Klaus Brandner "mit äußerster Vorsicht zu genießen". Denn die bisherige rot-grüne Bundesregierung habe bereits mit "Mini- und Midi-Jobs" sowie den "Ich-AGs" die im Niedriglohnsektor Beschäftigten gefördert.

Und darüber hinaus würde eine flächendeckende Einführung des Kombilohns immense Kosten verursachen, ohne daß zusätzliche Arbeitsplätze entstünden. Vielmehr würden "reguläre Arbeitsplätze mit horrenden staatlichen Subventionen verdrängt und durch staatliche Mittel ein künstlicher Lohndruck erzeugt", so der Sozialdemokrat.

Letzteres gilt allerdings auch für die immer zahlreicheren "Ein-Euro-Jobs" der ALG-II-Empfänger - und für diese angeblichen "Arbeitsgelegenheiten" wäre das Kombilohnmodell allemal die bessere Alternative.

Foto: IW-Kombilohnmodell, Minister Clement: Alternativen zu seinen gescheiterten Hartz-Reformen gibt es


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