© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Altersarmut
Karl Heinzen

Nach dem Ende des letzten "Baby-Booms" vor mehr als vier Jahrzehnten hat sich die Hundehaltung als Alternative zur Aufzucht von Kindern gesellschaftlich etabliert. Auch Vierbeiner vermitteln das Gefühl, Verantwortung für ein Lebewesen zu tragen, erlauben den Aufbau einer emotionalen Bindung und stärken insgesamt die Vitalität des Eigentümers. Im Gegensatz zu eigenem Nachwuchs beeinträchtigen sie die Lebensqualität aber nicht durch immer wiederkehrende Alltagskonflikte, etwa in der Pubertät der Zöglinge, und schränken die Mobilität in deutlich geringerem Maß ein, da zum Beispiel in der Urlaubsplanung keine Rücksicht auf Schulferien genommen werden muß. Darüber hinaus konnten sie bislang, auch wenn der Staat kein Hundegeld auszahlt und sie bei der Eigenheimförderung unberücksichtigt läßt, als vergleichsweise kostengünstig gelten, da sie genügsam sind und ihre Ansprüche nicht mit dem Lebensalter steigen.

Dieses finanzielle Argument, Hunden den Vorzug vor Kindern zu geben, wird allerdings zunehmend in Frage gestellt. Tiermediziner weisen darauf hin, daß auch bei den Vierbeinern die klassische Alterspyramide längst obsolet ist. Bereits heute blickt jeder dritte Hund auf mehr als zehn Lebensjahre zurück und muß somit als hochbetagt angesehen werden. Genau wie bei Menschen bleiben die altersbedingten Leiden nicht aus. Gelähmte Hunde, die im Rollstuhl von Weißhaarigen durch Parkanlagen geschoben werden, dürften alsbald zum vertrauten Stadtbild gehören. Rheuma, Diabetes und Krebs als Alterskrankheiten auch der Vierbeiner konfrontieren ihre Halter mit wachsenden finanziellen Risiken. Immer mehr Hundebesitzern droht die Altersarmut, da sie nichts unversucht lassen wollen, um das Leben ihrer kleinen Gefährten mit den allerneuesten medizinischen Methoden zu verlängern. Nicht wenige Erben, die auf den Nachlaß des Vaters oder der Mutter spekulierten, um selbst später keine Not leiden zu müssen, stehen plötzlich vor dem Nichts, weil bereits alles vom Hund aufgezehrt wurde.

Bislang ist kein Norbert Blüm im Parlament aufgestanden, um unter Tränen das Schicksal dieser Tiere und Menschen zu beklagen. Eine vernünftige Lösung sollte aber auch ohne derart aufrüttelnde Worte möglich sein: Verzichten wir auf eine gesetzlich verpflichtende Hundepflegeversicherung, so treiben wir immer mehr alte Menschen in den Ruin - und bringen mit einer Erosion respektabler Nachlässe die letzte Wohlstandsquelle zum Versiegen, die vielen allein noch geblieben ist.


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