© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/05 11. November 2005

Das Ende der Integrationslüge
Brennende Parallelgesellschaften: Frankreich ist nicht anders, es ist nur früher dran als Deutschland
Peter Lattas

Ratlos schaut Europa nach Frankreich, das den Notstand ausgerufen hat, um dem Krieg in seinen Städten Herr zu werden. Nicht nur, daß Autos, Schulen und Geschäfte während der Krawallnächte in Flammen aufgehen und Existenzen ruiniert werden. Bankrott ist auch eine Lebenslüge der linksliberalen Diskurselite: Der Mythos, man könne jeden Einwanderer integrieren, wenn man nur wolle.

Die Gewalt in Frankreich und zuvor in England markiert eine Zeitenwende. Binnen weniger Tage wurde den Europäern das Scheitern ihrer "Integrations"-Modelle vorgeführt: Der angelsächsische Multikulturalismus, der auf verbindliche Wertvorgaben verzichtet, konnte den Krieg zwischen asiatischen und karibischen Zuwanderern nicht verhindern. Und die französische Illusion, es genüge, jedem einen Paß und Staatsbürgerrechte zu geben, dann würden die republikanischen Werte schon das Ihre tun, um die Neubürger zu integrieren, wird von ghettoisierten Blacks und Beurs eingeäschert.

Offenkundig gibt es ethnische und kulturelle Grenzen für "westliche Werte". Was, wenn ein islamischer Zuwanderer gar kein citoyen sein will? Frankreich wollte nie "multikulturell" sein und ist es doch geworden. Ghettos durfte es nicht geben, also übersah man sie - jetzt sind sie unübersehbar. Überschreitet die Einwanderung eine gewisse Schwelle, führt sie zur Fragmentierung des Gemeinwesens. Der Multikulturalismus als Verlegenheitsideologie ist ein Placebo, dessen Wirkungslosigkeit sich erweist, wenn die Spannungen eskalieren und nicht mehr abgelenkt werden können. Schaut man weiter zu, drohen Gewalt, Bürgerkrieg und Staatszerfall. In den "großen Brüdern", die sich als muslimischer Ordnungsdienst zwischen Polizisten und Steinewerfer stellen, wird die Keimzelle einer islamischen Miliz sichtbar. Die Logik der Unruhen ist die Sezession.

Daß die Gewalt auch in Deutschland ausbrechen kann, ist nur eine Frage des Wann und nicht des Ob. Der Cocktail, der in deutschen Städten angerichtet ist, enthält dieselben Zutaten wie der französische: exponentiell wachsende Generationen junger Einwanderer ohne berufliche Perspektive, die sich zunehmend in Parallelgesellschaften abschotten, die westliche Lebensart verachten, in der sie nicht reüssieren können, und oft in radikal-islamischen Heilslehren Kompensation für ihre trostlose soziale Lage suchen.

Daß es auf unseren Straßen noch ruhig ist, liegt an graduellen Unterschieden. Die räumliche Separierung ist noch nicht so weit fortgeschritten. Deutschlands Einwanderer stammen aus aller Herren Länder und nicht nur aus dem Maghreb und den alten Kolonien. Während in Frankreich der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung rund zehn Prozent beträgt, sind es bei uns weniger als fünf. Vor allem hat Deutschland ein mit viel Geld ausgestattetes soziales Netz, das chancenlose Einwanderer relativ komfortabel alimentiert und damit ruhigstellt.

Das kann sich in zehn Jahren ändern. Der aus Syrien stammende Politologe Bassam Tibi warnte letztes Jahr: Bis 2014 werde die Zahl der Muslime infolge hoher Geburtenraten und illegaler Einwanderung auf zehn Millionen steigen. Religiosität und Ghettomentalität würden zunehmen - der orthodoxe Islam verpflichte die Muslime zur Integrationsunwilligkeit. Aus ihren Parallelgesellschaften heraus würden sie die deutsche Gesellschaft als feindliche Umwelt sehen.

Wenn dann, wie zu erwarten, bis 2014 die Sozialleistungen drastisch reduziert werden, explodiert das Pulverfaß: "Diese muslimischen No-Future-Kids können dann nicht mehr gehalten werden. Es wird zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen", so Tibi. Ausbaden müssen das neben den unvorbereiteten Einheimischen auch jene Ausländer, die sich assimiliert haben und die fortgesetzte Realitätsverweigerung der Politik nicht selten mit größerer Sorge betrachten, als ihre deutschen Nachbarn das tun.

Trotz erwiesener Wirkungslosigkeit beruhigt man sich in den Chefetagen der Meinungsführer mit den alten Rezepten. Man müsse den Einwanderern mehr "Angebote" machen, sich mehr "um die Kinder von Migranten kümmern", so der Grüne Hans-Christian Ströbele. Der Bürgermeister von Clichy-sous-Bois hat sein Banlieue mit Freizeitprogrammen, Sozial- und Begegnungsstätten zugepflastert, die Transformation der Stadt in ein Ramallah-sous-Bois aber nicht verhindern zu können. Daß Einbürgerung entgegen rot-grün-gelber Grundüberzeugung kein taugliches Mittel zur "Integration" ist, wird in Frankreich gerade vorexerziert. Und Sprachkurse oder Bildungsangebote? Wer als Zuwanderer die Sprache verweigert, hat keine Chance. Doch selbst Sprachbeherrschung bedeutet noch lange nicht, daß ein Araber sich als Franzose oder ein Türke sich als Deutscher fühlt.

Auf einhellige Kritik stieß die Äußerung des französischen Innenministers Nicolas Sarkozy, man müsse die Städte "mit dem Hochdruckreiniger" vom "Gesindel" säubern. Fakt ist: Der Staat muß sein Gewaltmonopol behaupten und durchsetzen, wenn er sich nicht selbst aufgeben will. Das ist aber nicht die Lösung, allenfalls die Voraussetzung dafür.

Mit Dialog, Nachgiebigkeit und Wohltaten ist das Problem der multikulturellen Fragmentierung nicht zu lösen. "Wir waren zu weich. Die Zeit des Teetrinkens ist vorbei", sagt die niederländische Immigrationsministerin Rita Verdonk. Klare Ansagen sind notwendig. Es ist nicht die Pflicht des aufnehmenden Landes, die Einwanderer zu integrieren - der Einwanderer muß sich assimilieren, wenn er seine Chance nutzen will. Tut er es nicht, muß er gehen.

Notwendig ist ferner, sich den Wünschen mancher Wirtschaftskreise nach steter Ausweitung der Einwanderung zu widersetzen. Einigen Firmen mag die Existenz eines eingewanderten Proletariats, das die Lohnkonkurrenz verschärft, nützlich sein; rebelliert aber später die demobilisierte industrielle Reservearmee, droht der Staat daran zu zerbrechen.

Notwendig ist schließlich eine politische Umkehr. "Diese Unruhen sind zweifellos die Folge einer unkontrollierten Einwanderungspolitik, deren Auswirkungen Frankreich immer noch ausbadet", schreibt hellsichtig der Pariser Figaro. "1974 wurden mit der Familienzusammenführung die Schleusen geöffnet. Daraufhin wurde die Einwanderung immer mehr zu einem Recht, auf das gepocht wurde. Die nachfolgenden Regierungen haben dann dafür gesorgt, daß die Mechanismen der Integration übersättigt wurden." Das könnte der deutschen politischen Klasse ins Stammbuch geschrieben sein. Eine Gesellschaft brauche "organische Zusammenhänge, sonst geht sie kaputt", doziert jetzt einer ihrer Vertreter, der SPD-Vizefraktionschef Michael Müller. Nichts zerstört diese Zusammenhänge so gründlich wie die auch von seiner Partei betriebene unkontrollierte Einwanderung.


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