© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/05 11. November 2005

Pisa-Schwindel
von Josef Kraus

Es ist immer das gleiche Lied: Kaum hat jemand etwas geleistet, was über das Mittelmaß hinausragt, fuchteln sozial Bewegte mit der Gleichheitskeule. Pisa hat zutage gefördert, daß Bayern nicht nur mit seinen Gymnasiasten deutschlandweit eindeutig führt; bayerische Hauptschüler erzielen sogar Werte wie andere deutsche Länder mit ihren Gesamt- oder Realschülern.

Da aber nicht sein kann, was nicht sein darf, hat man aufgejault: Bayern sei doch das Land, in dem das sogenannte Arbeiterkind am wenigsten Chancen habe, das Abitur zu erwerben. Brandenburg dagegen sei in puncto Sozialaufstieg ein Musterland. - Nein, kann man da nur sagen, so viel Quatsch auf einmal wäre eines eigenen Pisa-Tests für Politiker und Publizisten würdig. Schließlich gibt es einen sehr konkreten Grund, warum es in Bayern eher bodenständig ohne Abiturvollkaskoanspruch zugeht und warum die Brandenburger ihre Kinder lieber lange auf die Schule schicken: In Bayern hat man auch mit Haupt- oder Realschule gute Chancen, denn schließlich verbirgt sich dahinter Qualität. In Brandenburg dagegen treffen die Schulabsolventen mit weniger belastbaren Zeugnissen auf einen Arbeitsmarkt, der Eltern verleitet zu sagen: "Mach' doch noch Abitur und Studium, dann entgehst du eher der Arbeitslosigkeit!" Fazit: Alleine mit Verteilungsgleichheit ist noch keine Chancengerechtigkeit gewonnen.

 

Josef Kraus ist Präsident des Deutschen Lehrerverbandes und Autor des Buches "Der Pisa-Schwindel" (Signum-Verlag, 2005).


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