© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/05 11. November 2005

Blick zurück nach vorn
Große Koalition: Posten und Privilegien schweißen zusammen
Detlef Kühn

Man muß schon ein unerschütterlicher Optimist sein, um von den gegenwärtig laufenden Koalitionsverhandlungen noch irgend etwas Positives für Deutschland zu erwarten. Dabei sind manche Grundwahrheiten doch wirklich einfach. Einige Beispiele: Steuererhöhungen wirken dämpfend und nicht stimulierend auf den Konsum und damit die Konjunktur. Das hat sich bei der Tabaksteuer ebenso wie bei der Mineralölsteuer erwiesen. - Wohlhabende oder Reiche haben mehr Chancen, sich den negativen Folgen von Steuererhöhungen für den Inhalt ihres Geldbeutels zu entziehen, als normale Sterbliche. - Deutschland ist nicht hoffnungslos überschuldet, weil die Regierungen der vergangenen Jahrzehnte zu wenig Einnahmen hatten, sondern weil sie zu viel Geld (oft an den falschen Stellen) ausgegeben haben.

Dennoch beabsichtigen die Großkoalitionäre, die alten Fehler fortzusetzen. Kürzungen der bisherigen Ausgaben sind allenfalls in dem Ausmaß beabsichtigt, wie andere zusätzliche Ausgaben beschlossen werden. Die übrigen riesigen Löcher in den öffentlichen Haushalten sollen durch weitere beherzte Griffe in die Taschen der Steuerzahler abgedeckt werden. Müntefering sagt, die SPD werde der von der Union beabsichtigten Erhöhung der Mehrwertsteuer nur dann zustimmen, wenn die Union sich in der Frage der "Reichensteuer" bewege. Das haben CDU/CSU nun davon: Für den von ihnen bereits im Wahlkampf leichtfertig ins Gespräch gebrachten Fehler müssen sie jetzt politisch noch zusätzlich, angeblich aus Gründen der Gerechtigkeit, mit einer weiteren Steuererhöhung bezahlen. Sie wird nur die Kapitalflucht verstärken, ebenso wie die Mehrwertsteuer die Schwarzarbeit.

Angeblich wurden bereits "Grundzüge" einer Föderalismusreform verabredet. Das weckt Erinnerungen an die Große Koalition von 1966. Damals wurde eine umfassende Reform des Wahlrechts verabredet, die, so hieß es, die demokratische Struktur der alten Bundesrepublik verbessern sollte. Geschehen ist dann bekanntlich nichts, weil die Folgen einer Mehrheitswahl nicht mehr kontrollierbar erschienen und zu viele Angehörige der damaligen politischen Klasse in allen Parteien für sich persönlich negative Folgen befürchteten. Ein ähnliches Schicksal dürfte dem jetzigen Vorstoß zur Straffung der föderalen Ordnung beschieden sein.

Darüber, was alles aus dem politischen Entscheidungsprozeß der kommenden Jahre ausgeklammert wird, kann man in dieser Woche nur spekulieren. Ziemlich sicher gehören dazu der EU-Beitritt der Türkei und die Höhe der deutschen Zahlungen an Brüssel. Auch mit wirksamen Maßnahmen zur Einschränkung der Zuwanderung in unser Sozialsystem ist wohl ebensowenig zu rechnen wie mit dem "Ausstieg aus dem Atomausstieg", der wenigstens unsere Sorgen um die künftige Energieversorgung etwas mildern könnte. Angesichts der Unruhen in Frankreich dürfte allerdings im Koalitionspapier viel von "Integration unserer Mitbürger mit Migrationshintergrund" oder so ähnlich die Rede sein. Abgesehen davon, daß solche Pläne auch wieder Geld kosten, muß man derartige Versprechungen aber nicht sehr ernst nehmen. Eine entsprechende Politik setzte nämlich voraus, erst einmal die vielen Löcher zu stopfen, die derzeit alljährlich eine Größenordnung von Hunderttausenden von Leuten ermöglichen, die wir nicht benötigen. Dazu fehlt aber der Mut, man möchte ja "weltoffen" sein.

Einige Hoffnungen richten sich in diesen Tagen auf das vermeintlich "neue" Personal aus dem Osten. Vielleicht ist es wirklich ein Gewinn für die deutsche Politik, wenn Politiker mit DDR-Erfahrung mehr Einfluß gewinnen. Merkel, Platzeck und Tiefensee müßten aus eigener Erfahrung wissen, wie es einem Staat bekommt, der glaubt, mehr Geld ausgeben zu dürfen, als er einnimmt, und Wohltaten verteilt, die immer weniger Leistungsträger finanzieren müssen. Man sollte sich aber keine allzu großen Illusionen machen: Auch Politiker mit Ost-Hintergrund dürften inzwischen nachhaltig durch die westdeutsche politische Klasse beeinflußt worden sein. Wahrscheinlich haben sie es überhaupt nur so weit gebracht, weil sie von dieser als "gleichgesinnte Seelen" wahrgenommen werden. Speziell Angela Merkel ist von Helmut Kohl geprägt worden, von dem sie immerhin lernen konnte, wie man Probleme aussitzt.

Angesichts all dieser Sorgen muß man schon fragen, welche Zukunft eine derart belastete Koalition von SPD und Union haben wird. Auch insofern kann ein Blick zurück hilfreich sein. Der Regierung Kiesinger ist 1966 ebenfalls nur eine kurze Lebenszeit prophezeit worden. Dennoch hat sie formal die restliche Legislaturperiode bis 1969 überstanden.

Das Interesse an den zu verteilenden Posten und Privilegien schweißt zusammen. Dieses stabilisierende Element sollte niemand unterschätzen. Allerdings war damals die Koalition faktisch lange vor der Wahl zerbrochen. Auslöser war eine vergleichsweise unwichtige Frage der Währungspolitik, die Aufwertung der D-Mark. Entschieden hat die nur zahlenmäßig große Koalition auch diese Frage nicht. Die zehnprozentige Aufwertung wurde erst kurz nach der Wahl 1969 vorgenommen - von einer Regierung, die nunmehr SPD und FDP stellten. Ob das alles Frau Merkel bewußt ist? Geschichte wiederholt sich nicht, aber lernen sollten Politiker aus ihr dennoch.


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