© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/05 11. November 2005

Stolz und Dankbarkeit
Würdigung: Die Bundeswehr ist ihren eigenen Ansprüchen weitgehend gerecht geworden
Gerd Schultze-Rhonhof

Am 12. November 1955 erhalten 101 ehemalige Soldaten der Wehrmacht ihre Ernennungsurkunden als Soldaten der neuen deutschen Bundeswehr. Das Datum ist bewußt gewählt. Es ist der 200. Geburtstag des preußischen Heeres- und Staatsreformers Gerhard Johann David von Scharnhorst. So steht der Geist dieses Mannes als Pate an der Wiege der neuen deutschen Streitkräfte. Sein politisches Vermächtnis, welches seine militärischen Reformen überragt, heißt: Die Bürger Deutschlands sind die geborenen Verteidiger ihres Landes. - Die Verbundenheit der Zivilgesellschaft mit ihren Streitkräften ist die Voraussetzung für die Verteidigung der Freiheit des Landes und damit seiner Bürger. - Die Vaterlandsliebe und der Nationalstolz sind die Triebfedern einer jeden nationalen Kraftanstrengung.

Die Bundeswehr hat sich in ihren 50 Lebensjahren mit Erfolg bemüht, Scharnhorsts militärischem Vermächtnis gerecht zu werden. Sie hat keine gesellschaftlichen Schranken in ihren Rängen zugelassen und ihr Offizier- und Unteroffizierkorps allgemein gebildet und professionell geschult. Sie hat die ihr anvertrauten Menschen zeitgemäß geführt und kriegsnah ausgebildet. Aber wie steht es mit dem politischen Vermächtnis des großen Reformers? Wie ist die Verbundenheit der Zivilbevölkerung mit der Bundeswehr gewesen und wie hat es mit der Vaterlandsliebe und dem Nationalstolz ausgesehen?

Beginn stand unter keinem guten Stern

Die Verbundenheit zwischen der Zivilgesellschaft und der Bundeswehr steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Große Teile der Bevölkerung assoziieren das Militär ganz generell und damit auch die neue Bundeswehr mit dem 10 Jahre zuvor verlorenen Krieg und seinen schlimmen Folgen, mit der deutschen Mitschuld am Entstehen dieses Krieges und letztlich mit dem Dritten Reich. Später wandelt sich dieses "Feindbild" für manche Kreise in eine Bundeswehr als "repressive Organisation", als Protektor des ausbeuterischen Kapitalismus, als Träger der atomaren Kriegführung und als was auch immer. So begleiten die "Ohne-mich-Bewegung", die Ostermärsche, zeitweilige Pressefeldzüge, Kasernenblockaden und gegnerische Kampagnen einiger evangelischer Landeskirchen die Geschichte der Bundeswehr. Diese Mischung aus historischer Hypothek, Idealismus gegen den Krieg, Propaganda aus dem Ostblock und Soldatenfeindlichkeit ist eine arge Last gewesen.

Die Vaterlandsliebe und der Nationalstolz dagegen haben die Bundeswehr im Inneren dezent, doch wirkungsvoll gestärkt. Die immensen Anstrengungen der Aufbaujahre, die hohe Einsatzbereitschaft und Arbeitsleistung der Soldaten sowie der Angehörigen der Wehrverwaltung während des Kalten Krieges und die Beanspruchung der Auslandseinsätze in den vergangenen zehn Jahren wären ohne das Gefühl, es dem eigenen Land zu schulden, sicher nicht mit so viel innerer Überzeugung geleistet worden. Zudem haben die Erfolge der zunächst aufstrebenden Bundesrepublik und das gute "ranking" der Bundeswehr innerhalb der Nato ihre Angehörigen mit Stolz erfüllt, mit Stolz auf die Zugehörigkeit zur eigenen Nation. Doch beides, die Liebe zum Vaterland und der Stolz auf die Nation, sind kein öffentliches Thema. Wer zu deutlich davon spricht, ist, zumindest in den letzten 15 Jahren, "rechts" und damit "out".

Fünfzig Jahre Bundeswehr sind fürwahr ein Grund, auf sie mit Dankbarkeit und Stolz zurückzublicken. In den ersten sechs Jahren ihrer jungen Existenz leisten das Rahmenpersonal, das aus der Wehrmacht und dem Bundesgrenzschutz stammt, sowie Beamte, Ingenieure, die Industrie und nicht zuletzt der deutsche Steuerzahler eine organisatorische und volkswirtschaftliche Meisterleistung, den Aufbau einer 500.000 Mann starken Truppe mit den dazugehörenden Panzern, Flugzeugen, Schiffen, Kasernen, und Übungsplätzen.

Erst die voll aufgestellte Bundeswehr macht die damals nur teilsouveräne Bundesrepublik wieder bündnisfähig und verankert sie fest in der Gemeinschaft der demokratischen Staaten des Westens. Die Bundeswehr sichert den Bürgern Deutschlands 35 Jahre lang den Frieden gegen einen anfangs noch zur Expansion bereiten Ostblock. Danach beteiligt sie sich aktiv an vertrauensbildenden Militärmaßnahmen und trägt so ihren Teil zur Entspannung zwischen Ost und West bei. Bei den olympischen Spielen 1972 hilft sie mit ihren Führungs-, Regie- und Logistikdiensten, als sich Deutschland in München als guter Gastgeber für die Jugend der Welt darstellt. Sie schützt die Bevölkerung vor Gefahren in Flut-, Schnee- und Waldbrandkatastrophen. Sie erzieht Millionen junger Männer zu den Tugenden, die Staat, Wirtschaft und Gesellschaft tragen. Überdies vermittelt sie Hunderttausenden von jungen Männern einen Zivilberuf und damit den Start für das Erwachsenenleben.

Die Bundeswehr gibt der Industrie mit der Entwicklung neuer Rüstungsgüter technologische Impulse. Ab 1990 integriert sie die Nationale Volksarmee der DDR und leistet damit ihren Beitrag für die deutsche Wiedervereinigung. Ab 1995 hilft sie den Armeen Polens, Tschechiens und Ungarns, sich in die NATO einzugliedern. Dem folgt der Militärdienst, um die Bruderkriege auf dem Balkan und in Afghanistan zu beenden und die zerstörten Länder wieder aufzubauen. Eine großartige Bilanz! Das deutsche Volk hat allen Grund, stolz auf diese Bundeswehr zu sein.

Vaterlandsliebe als Triebfeder

Was hätte der Reformer Scharnhorst seinem so erfolgreichen Patenkind Bundeswehr zum 50. Geburtstag angeraten? Er hätte den Generationen innerhalb der Bundeswehr wahrscheinlich mehr Bescheidenheit und mehr Weitsicht anempfohlen. Er kannte untaugliche und skrupellose Regierungen, und er wußte, daß der Soldat dem Souverän zu folgen hat und nicht der Souverän dem Militär. So hätte er die Achtung vor den militärischen Leistungen der Wehrmacht angemahnt. Er hätte die Anerkennung der immensen Aufbauleistung der ersten Bundeswehrgeneration verlangt. Er hätte die richtige Würdigung der unendlich vielen und zeitraubenden Verteidigungsvorbereitungen und Manöver zur Abschreckung oder Abwehr des Warschauer Pakts erwartet, und genauso die Anerkennung der Friedenseinsätze der heutigen Bundeswehr. Jede Zeit hält für den Soldaten ihre zeittypischen Aufgaben bereit. Die Leistungen einer Vorgängergeneration - mit welchem Argument auch immer - kleinzureden, ist eitel. Scharnhorst hätte es wohl auch als Eitelkeit verachtet, daß sich die Bundeswehr inzwischen selbst zum Gegenstand ihrer Tradition erhoben hat.

Der Reformer Scharnhorst hätte sicher auch daran erinnert, daß sich sein Erbe nicht auf die Allgemeine Wehrpflicht und auf die Innere Führung reduzieren läßt. Er hätte den Soldaten und den Deutschen insgesamt sicherlich noch einmal mit auf den Weg gegeben, daß die Vaterlandsliebe und der Nationalstolz die Triebfedern einer jeden nationalen Kraftanstrengung sind. Deutschland hat das nötig.


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