© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Verfassungsbruch
von Friedrich Karl Fromme

Die Große Koalition beginnt mit einem Akt des "Muts". Dieses Wort haben Union und SPD in den Titel der Koalitionsver- einbarung aufgenommen. Die zur stärksten Oppositionspartei herangewachsene FDP hat eine ebenfalls Mut verratende Gegenwehr angekündigt. Sie droht mit einer Verfassungsklage gegen einen Haushaltsplan, der nach den Ankündigungen der Koalition gegen das Verfassungsgebot in Artikel 115 verstoßen wird, daß die Ausgaben für In-vestitionen über der Summe der Kreditaufnahme liegen müssen.

Es ist nicht so, daß zum ersten Mal ein derartiger Verfassungsbruch stattfindet und daß hiergegen das Bundesverfassungsgericht angerufen würde. Bislang, etwa im Urteil vom 18. April 1989, hat es sich darauf beschränkt, den ihm vorgelegten Fall unter die Regeln für die Ausnahme von dem genannten Gebot zu manövrieren. Von jenem Gebot des Übergewichts der investiven Ausgaben über die Kreditaufnahme darf abgewichen werden zur "Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts". Das Gericht vermied es so, einen Haushalt aufzuheben, also die Grundlage der Politik eines ganzen Jahres - solches wäre eine zu schwere Last auch für ein Gericht, das zugleich Verfassungsorgan ist. Wenn es zur Verfassungsklage kommt, könnte das Gericht aber die Gelegenheit nutzen, die Koalition darauf zu verpflichten, sich streng an die Begründung ihres "mutigen" Schritts zu halten, also die überhöhte Verschuldung als einmaligen Versuch zu betrachten, einen Wachstumsanreiz zu setzen und damit die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Gelingt das nicht, darf eine Wiederholung nicht in Frage kommen.


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