© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Unter den Tisch gefallen
Koalitionsvereinbarung: Ausländer- und Familienpolitik stiefmütterlich behandelt / Konservative Handschrift fehlt / Elterngeld und Integration
Kurt Zach

Strukturelle Reformen" anzupacken, verspricht die künftige rot-schwarze Regierung in der Präambel zu ihrem Koalitionsvertrag. Auf zwei zentralen gesellschaftspolitischen Feldern ist davon wenig zu spüren. Mutlos folgt die große Koalition in der Familien- und Ausländerpolitik ausgetretenen sozialdemokratischen Trampelpfaden.

Vor allem in der Ausländerpolitik wird konsequent um den heißen Brei herumgeredet. Weit abgeschlagen und auf magere drei von 191 Seiten zusammengequetscht findet sich das Thema erst in Kapitel VIII des Vertragswerks. Wer gehofft hat, SPD und Union würden gemeinsam den Mut aufbringen, die direkten und indirekten Einwanderungskosten offenzulegen und Wege zu zeigen, wie die öffentlichen Haushalte davon entlastet werden könnten, wird enttäuscht. Zwar wird in einem Nebensatz erwähnt, daß Migration "begrenzt" und gesteuert werden soll, aber nur, damit die "Integration" auch gelingt. Von der Unterbindung weiterer Einwanderung in die Sozialsysteme - eine wesentliche Ursache der gegenwärtigen Haushaltsmisere - ist ebensowenig die Rede wie von der Entlastung der Sozialsysteme durch Repatriierung von dauerarbeitslosen und sozialhilfeabhängigen Ausländern, deren Anteil an den Hilfeempfängern überproportional hoch ist. Zwar werden verschiedene Änderungen ins Auge gefaßt oder angedeutet; diese betreffen indes weder die Erhöhung der Anforderungen an potentielle und bereits angekommene Einwanderer noch die Zurückschneidung des Subventionsapparates, sondern vielmehr dessen Ausweitung.

Einige offenbar bewußt vage formulierte Vorhaben lassen wenig Gutes ahnen: "Ein Prüfauftrag gilt auch für den Bereich 'Illegalität' und die Frage des kommunalen Wahlrechts für Ausländer, die keine EU-Bürger sind" - da letzteres eindeutig geregelt ist und bei ersterem allenfalls ein Vollzugsdefizit besteht, kann dies nur bedeuten, daß weitere Aufweichungen beabsichtigt sind. Der Vorsatz, "das Bekenntnis des Einzubürgernden zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung" künftig in den Akt der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit einzubeziehen, vermag da kaum zu beruhigen.

Das Schlagwort "Integration" zieht sich wie ein roter Faden durch das magere Kapitel zur Ausländerpolitik. Keine Rede davon, daß Integration in erster Linie eine Bringschuld der Einwanderer ist: Angesprochen werden nur Verpflichtungen und mögliche Maßnahmen der staatlichen Seite, verbunden mit weiterem Geldausgeben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ein Kind der rot-grünen Koalition, soll als "Kompetenzzentrum für Integration" gestärkt werden, indem die Integrationsmaßnahmen auf Bundesebene dort gebündelt werden.

Unbeeindruckt von den Ereignissen in Frankreich ignorieren die Koalitionäre den in den Parallelgesellschaften sich anhäufenden Sprengstoff und ergehen sich in Bevormundungsprosa und Emanzipationsphrasen über die "Gleichstellung von Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund" und mehr "interkulturelle Kompetenz in der Jugendhilfe".

Bezeichnend für den schwarz-roten Nationsbegriff ist die Tatsache, daß das Lippenbekenntnis zur Verantwortung für Volksdeutsche in Mittel- und Osteuropa und für Aussiedler, für die Pflege des Kulturerbes der Heimatvertriebenen und für die Unterstützung der deutschen Minderheiten "in den Herkunftsgebieten der Aussiedler" (also keineswegs überall, wo Deutsche wohnen) als Anhängsel in einen Absatz des Kapitels "Migration und Integration" hineingezwängt ist.

Auch in der Familienpolitik sucht man vergeblich wenigstens nach Spuren einer konservativen Handschrift. Auf Werteorientierung wird bewußt verzichtet; die "traditionelle Familie" wird mit "Patchwork-, Stief- und Einelternfamilien" in einem Atemzug genannt. Zwar wird vorangeschickt, daß rot-schwarze Familienpolitik davon ausgehe, "daß Eltern in ihrer primären Erziehungsverantwortung und -fähigkeit gestärkt werden" müßten. Geld ist aber vor allem für die Fremdbetreuung da - Rot-Schwarz beschränkt sich darauf, rot-grüne Projekte weiterzubetreiben. So sieht die Große Koalition wie die Vorgängerregierung den "mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) gesetzlich verankerten Ausbau der Betreuungsangebote" als "unabweisbare gesellschaftspolitische Aufgabe". Auf dieser Grundlage sollen bis 2010 230.000 neue Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren entstehen.

Anstieg der Geburtenrate bleibt zweifelhaft

Ebenfalls aus der rot-grünen Werkstatt stammt das Elterngeld, das 2007 eingeführt werden soll. Als Einkommensersatzleistung ersetzt es 67 Prozent des vorherigen Nettoerwerbseinkommens und wird in einer Höhe bis zu 1.800 Euro im Monat ein Jahr an Väter und Mütter ausbezahlt. Das Elterngeld kann und soll zwischen den Partnern monatsweise aufgeteilt werden; geschieht dies nicht, geht der Anspruch auf zwei Monatsleistungen verloren. Geringverdienende oder nicht erwerbstätige Eltern erhalten eine Mindestleistung in Höhe des bisherigen sechsmonatigen Erziehungsgeldes. Zudem sollen die Kinderzuschläge für Geringverdiener ausgeweitet werden. Um Familien "gerechter und zielgenauer" zu fördern, soll eine "Familienkasse" geschaffen werden, die entweder beim Bund oder bei den Ländern angesiedelt wird; daß das "Bürokratiezuwachs" bedeute, wird ausdrücklich dementiert.

Ob das alles hilft, die Geburtenrate in Deutschland wieder anzuheben, darf bezweifelt werden. Den Transferleistungsversprechen stehen beträchtliche Mehrbelastungen gerade für Familien gegenüber, die durch die geplante Anhebung der Mehrwertsteuer besonders hart getroffen werden. Und die wichtigste familienpolitische Reform, den Umbau des familienfeindlichen Steuer- und Rentensystems, will auch die Merkel-Regierung nicht anpacken.


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