© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Keine politische Kundgebung
Österreich II: Wirbel um ORF-Chefredakteur Walter Seledec / Der FPÖ-Politiker besuchte Gedenkfeier für Jagdflieger Nowotny
Curd-Torsten Weick

Major Walter Nowotny schoß als Jagdflieger der deutschen Luft-waffe zwischen 1941 und November 1944 258 Kampfflugzeuge ab. Im Alter von 24 Jahren wurde er selbst abgeschossen und bekam ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof. Nowotny war seit seinem 17. Lebensjahr Mitglied in der NSDAP.

Ein Umstand, der bis vor zwei Jahren kaum der Rede wert war. Dann wurde ihm diese Ehrbezeugung mit den Stimmen von Grünen und SPÖ - gegen den Protest der FPÖ - im Wiener Gemeinderat aberkannt. Für die Führung eines Vernichtungskrieges sollte es in einer Demokratie keine Ehrengräber geben, hieß es. Was allerdings nicht wenige daran hinderte, jeweils zum Todestag Nowotnys Kränze niederzulegen. Unter ihnen FPÖ-Politiker, der Bruder des Piloten und - seit Jahren - der Zentrale Chefredakteur, zuständig für die Auslandskorrespondenten sowie die Koordinierung der Aktivitäten zum Gedenkjahr 2005, des Österreichischen Rundfunks (ORF), Walter Seledec (60).

Letzterer war anläßlich des 61. Todestages Nowotnys auch wieder dabei - und plötzlich war nichts mehr wie vorher. "ORF-Chefredakteur bei Nazi-Gedenken", schrieb die Presse. Der Skandal war da. Es hagelte Kritik von seiten des ORF-Redakteursrates, von SPÖ und Grünen. Der Redakteursrat forderte die ORF-Führung auf, Seledec "mit sofortiger Wirkung" von "journalistischen Aufgaben zu entbinden". Begründung: Seine "eindeutige parteipolitische Nähe" sei "absolut unvereinbar" mit der journalistischen Berufsethik. "Gedenken wir jetzt eines Nazi-Kriegsverbrechers?" fragte der grüne ORF-Stiftungsrat Pius Strobl und sieht in Seledec den "Gesinnungstäter". Hatte der sich doch, so der Vorwurf, schon mehrfach exponiert: als Kommentator in der Zur Zeit, der Zeitung des EU-Abgeordneten Andreas Mölzer (FPÖ), und als Unterzeichner einer Traueranzeige für den Ex-FPÖ-Vorsitzenden Friedrich Peters. "Ich habe aus meiner politischen Einstellung nie ein Hehl gemacht, aber sehr genau zwischen Programmgestaltung und außerberuflicher Meinungsäußerung getrennt", erklärte daraufhin der angegriffene Seledec. Dennoch sei die Absicht seines Erscheinens bei der Gedenkfeier ein rein persönlicher "Akt des Totengedenkens" und "keine politische Kundgebung" gewesen.

Doch ORF-Generaldirektorin Monika Lindner hatte schon nach Seledecs Ehrerbietung gegenüber Peters von einem "schweren Fehler, der das Unternehmen schädigt" gesprochen. Lindner erteilte einen "scharfen Dienstverweis", erinnerte an die Verpflichtung zur Einhaltung der im Gesetz vorgeschriebenen "Objektivität und Überparteilichkeit" und schickte Seledec in die frühestmögliche Pensionierung. Seledec wurde beurlaubt, und eine interne Kommission des ORF ist nun um Objektivität bemüht. Objektivität, die Seledecs Anwalt Dieter Böhmdorfer nicht erkennen kann: "Wäre eine solche Sanktion auch 'roten' Redakteuren passiert? Offenkundig nicht."

Foto: Nowotny-Grab in Wien, Walter Seledec: "Akt des Totengedenkens"


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