© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Weniger Meeresfisch auf den Tisch
Meeresfauna: Die Plünderung der Meere besiegelt das Ende der weltweiten Fischbestände / Politisches Handeln erforderlich
Volker Kempf

Der Nationalökonom Thomas Robert Malthus (1766-1834) habe sich geirrt, die Weltbevölkerung wachse gar nicht schneller als das Nahrungsangebot, lautet eine stereotype Aussage in heutiger Zeit. In der Tat hat die Landwirtschaft ihre Erträge durch industrielle Methoden immer weiter steigern können. Ob Malthus irrte oder nur ein Aufschub erwirkt wurde, darf dahingestellt bleiben.

Für den britischen Umweltjournalisten Charles Clover steht fest, der technische Fortschritt hat die Methoden zur Plünderung der Meere immer weiter verfeinert. Hier wird nichts gesät, sondern nur geerntet, nicht gehegt und gepflegt, sondern die letzten Reserven werden aufgespürt und erschöpft.

Tote Delphine als Folge der industriellen Fischerei

Clover ist für sein Buch, das auf Deutsch unter dem verkürzten Titel "Fisch kaputt" erschien, um die ganze Welt gereist. Er hat die größten Fischmärkte der Welt besucht, ebenso Fischereimessen und die Meere selbst. Die an seiner heimatlichen britischen Küste immer wieder angespülten toten Delphine als Folge der industriellen Fischerei sind für Clover nur die medial am meisten beachtete Spitze eines Eisbergs. Denn der Fisch wird im wahrsten Sinne des Wortes kaputtgemacht.

Wie soll man das einem Landbewohner klarmachen? Man stelle sich vor, an Land würden kilometerlange Netze durch eine Savanne gezogen, an deren Vorderseite eine gewaltige Metallwalze alle Hindernisse zertrümmert, während alle Lebewesen in die herannahenden Maschen getrieben werden.

Alles, was aus dem Boden ragt, Pflanzen und Tiere, würden zerdrückt oder aufgescheucht, zurück bliebe eine zertrümmerte Landschaft. Fangen die "industriellen Sammler" an, ihre Beute zu sortieren, wird ein Drittel wieder als unverkäuflich in die Jagdgründe zurückgeworfen. Im Wasser angewandt, bezeichnet man eine solche Methode als "Trawling". Die Schleppnetzfischerei ist weltweit verbreitet, von der Barentssee bis zu den Küsten der Antarktis.

Gibt es in der Nordsee nicht mehr viel zu holen, werden Afrikas Gewässer in Angriff genommen. Der Senegal etwa verkaufte an die EU Fischereirechte pauschal für 63 Millionen Euro im Jahr. Das ist nicht viel, also fragt sich Clover, warum sich der Senegal darauf einläßt. Alles nur für ein paar dringend benötigte Krankenhäuser? Es gebe "politische und diplomatische" Gründe, brachte Clover auf kritische Nachfrage in Erfahrung; er hält das für eine Umschreibung dafür, daß Entwicklungshilfegelder mit Fischereirechten verknüpft wurden.

Überhaupt kommt die EU-Politik bei Clover denkbar schlecht weg, weil sich ihm immer wieder erweist, daß das Gemeingut Fisch geopfert wird - der Lobby der industriellen Fischerei. Geradezu absurd gehe es zu, wenn europäische Fischer noch fischen, obwohl sich dies längst nicht mehr lohne und die Bestände dringend geschont werden müßten. Es gehe für die Fischer schließlich nur noch darum, weiter Fördergelder zu erhalten. So ziemlich das einzige, was in der EU für die Fischbestände in den Meeren positives erreicht worden sei, sei eine Pflicht zur Installierung akustischer Geräte an Kiemnetzen bestimmter Größen ab Ostern 2007, damit sich Tümmler nicht mehr darin verfangen und im Todeskampf verenden. "Ohne wesentlich kreativere Anstrengungen zur Bestandserhaltung wird das Leben in den Meeren rund um Europa und anderswo immer mehr an eine Wüste erinnern", schreibt Clover und stützt sich dabei auf Aussagen von Experten.

Verbraucher sind auch Teil in der Kette der Übernutzung

Anderswo in der Welt sieht es nicht besser aus als in der EU. Japan ist eine große Fischessernation und importiert Fische aus allen Herren Ländern. Die Fischer stoßen immer weiter an Grenzen, um die Nachfrage noch befriedigen zu können. Doch auf Fischereimessen werden verfeinerte Fangmethoden und noch bessere Ortungsgeräte angeboten, in einer Sprache, die an Mad Max oder Batman erinnert.

Entsprechend gehe es dann auch unter Wasser zu. Die Tiefseefischerei, die ab 400 Metern Wassertiefe beginnt, sorge dafür, daß die Fischteller noch immer üppig gefüllt werden. Aber wie lange noch? Die Politik erweist sich als unfähig, die entstandenen Probleme anzugehen, während die Rahmenbedingungen sich weiter verschlechtern. "Die Entdeckung, daß uns weltweit der Fisch ausgeht, während die Weltbevölkerung weiter in einem unvorstellbaren Tempo wächst, bedeutet, daß die menschliche Rasse auf eine der Wachstumsgrenzen gestoßen ist, die Umweltschützer uns schon in den siebziger Jahren vorhergesagt haben."

Clover beschreibt sehr anschaulich, sachkundig und kritisch, was in unseren Meeren geschieht, wie ganze Fischpopulationen zerstört werden, während es an Land allzu menschlich zugeht. Daß man grundsätzlich aber mehr für den Erhalt des Ökosystems Meer tun kann, faßt Clover am Ende seines Buches in einem politischen Leitfaden zusammen. Da geht es um Reservate, neue Schwerpunkte bei der Förderung von Fangmethoden und um einen weniger verschwenderischen Fischverzehr.

Die Verbraucher sind letztlich also auch ein Teil in der Kette der Übernutzung unserer Meere, weshalb Clover am Ende seines Buches auch noch Verbrauchertipps gibt. Clover, der schon dreimal mit dem British Environment Media Award ausgezeichnet wurde, schreibt lebendig und flüssig, so daß man sein Buch wie einen Krimi lesen kann, mit fasziniertem Entsetzen.


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