© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Zwiegespräch mit den Unsterblichen
Totensonntag: Viele große Schriftsteller und Dichter haben sich mit Tod und Sterben beschäftigt
Thorsten Thaler

In seinem "Zweiten Pariser Tagebuch" notierte Ernst Jünger unter dem Datum 3. Juni 1943, daß es nur eine Maxime gebe, "nämlich die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß". Was große Dichter vergangener Epochen über Sterben und Tod geschrieben haben, berührt uns Lebende zumeist wohl auch deswegen, weil wir uns eben nicht mit dem Tod - und noch weniger mit dem Sterben - befreunden können; nicht mit dem eigenen und nicht mit dem naher Angehöriger und guter Freunde. Sterben und Tod gehören in heutiger Zeit und jedenfalls in unserem Kulturkreis zu jenen Unannehmlichkeiten und Unausweichlichkeiten des Lebens, die wir um des Lebens willen gern verdrängen.

In eigentümlichem Kontrast dazu steht, daß viele Zeitgenossen, wenn sie auf Reisen sind, die Grabstätten berühmter Schriftsteller und Dichter aufsuchen. Wie ist diese freiwillige Konfrontation mit dem Tod zu erklären? Der Berliner Gegenwartsautor Günter Kunert sieht darin eine "versuchte Zwiesprache". Ausgehend von einer Gedichtzeile Gottfried Benns ("Was wäre der Sommer ohne die Flüge der Schwalben, und was wäre das Land ohne die Gräber der Dichter") meint Kunert, daß die Gräber der Dichter "für die Kontinuität des Schöpferischen einstehen; wir wären ärmer ohne diese Gräber mit ihren manchmal merkwürdigen Erscheinungsbildern, es würde uns etwas fehlen: vielleicht die Bestätigung eines uns berührenden Seins, auch eines uns betreffenden Memento mori".

Das dauerhafte Nachleben großer Künstler liege sicher daran, so Kunert, daß sie als individuelle Vermittler aufgetreten sind "zwischen dem, was wir 'das Leben' nennen, und unserer mehr oder weniger bescheidenen Existenz". Wir Lebenden seien fähig, durch die von Berühmtheiten hinterlassenen Werke "unser eigenes Dasein zu erweitern, es über den Status bloßer irdischer Anwesenheit hinauszuheben - um nicht zu sagen: zu transzendieren". Darin liege die Größe von Literatur.

Mit seinem klugen, nicht sehr langen Essay über die "versuchte Zwie-sprache" im Angesicht von Grabstätten bedeutender Dichter leitet Kunert das kürzlich im Gerstenberg-Verlag, Hildesheim, erschienene Buch "Im letzten Garten" von Peter Andreas ein. Der prächtig aufgemachte Bild-/Textband enthält etwa 120 im Duoton reproduzierte Fotografien von Dichtergräbern. Rund die Hälfte davon zeigt Grabstätten deutscher Autoren, chronologisch geordnet in Folge ihrer Geburtsjahre von Bettina von Arnim (1785-1859) bis Robert Walser (1878-1956). Hinzu kommen viele berühmte Franzosen (von Balzac bis Emile Zola), Engländer und Iren (unter anderen Joyce, Shakespeare, Wilde), Italiener (Alfieri, Boccaccio, Manzoni, Petrarca, Tasso und andere), Russen (Gogol, Puschkin, Tolstoi) sowie einige andere Nationalitäten (wie T.S. Eliot oder Henrik Ibsen).

Zu den markantesten, den Betrachter ungemein bewegenden Grabstätten gehört zweifellos die von Jules Verne auf dem Madeleine-Friedhof im nordfranzösischen Amiens. 1907, zwei Jahre nach dem Tod des meistübersetzten französischen Autors phantastischer Abenteuer- und Zukunftsromane ("Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, 1864; "20.000 Meilen unter den Meer", 1870), errichtete der aus Amiens stammende Bildhauer Albert Roze eine pompöse Skulptur an Vernes Grab. Sie trägt den Titel "Vers l'immortalité et l'èternelle jeunesse" ("Unsterblichkeit und ewiger Jugend entgegen") und zeigt Jules Verne, wie er sich mit dem Oberkörper aus dem Grab erhebt und seinen rechten Arm zum Himmel emporstreckt - ganz so, als könne er sich selbst im Tod nicht mit dem Tod befreunden.

Jeder Abbildung sind Texte der Verstorbenen beigestellt, Gedichte, Aphorismen und Sentenzen, Auszüge aus Romanen, Erzählungen oder Briefen. Mal sind es ernste, nachdenkliche und nachdenklich stimmende Texte, mal nüchterne, illusionslose und desillusionierende, auch heitere, spöttische oder provokante und provozierende. Immer aber laden sie ein zur Zwiesprache mit den Dichtern und zu eigenen Reflexionen über den Tod. Nicht nur an diesem Totensonntag.

Fotos: Grabstätte Jules Vernes auf dem Friedhof Madeleine in Amiens, Frankreich: Kein Freund des Todes, Grabstätte von Gottfried Benn auf dem Städtischen Waldfriedhof in Berlin-Dahlem


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen