© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Ein Herz für Häuser
Ausstellung: Stadterneuerung und Denkmalschutz in den neuen Bundesländern
Curd-Torsten Weick

Die bewußte Vernachlässigung der Innenstädte in der damaligen DDR und der beklagenswerte Zustand vieler historischer Gebäude ist nach heutiger Ansicht Manfred Stolpes (SPD), noch amtierender Minister für das Bau- und Wohnungswesen, ein "Symbol für den Niedergang des Systems insgesamt" geworden. Ab den siebziger Jahren waren die historischen Altstädte in der DDR zum Abriß freigegeben worden. Führende SED-Kader hatten zu keiner Zeit Interesse daran, die "Geister der Reaktion" zu wecken, und so drohte spätestens zum Ende der achtziger Jahre der Totalverlust kulturell bedeutsamer Stadtkerne von europäischem Rang.

Doch wie dem realsozialistischen Abbruch-Ansinnen entgegentreten? Dies fragten sich viele verantwortungsvoll Denkende an den Dutzenden von Brennpunkten und versuchten sich am Erhalt des wertvollen Erbes: Einzelkämpfer oder kleine Zirkel, die - vielfach unter dem Schutz der Kirche - gegen den Strom schwammen und oftmals zur Keimzelle der späteren Bürgerbewegungen wurden.

Die Wende 1989/90 kam an vielen Orten gerade noch rechtzeitig. Ob das Holländische Viertel in Potsdam, die historischen Altstädte in Halberstadt, Erfurt und Görlitz oder die Schelfstadt in Schwerin, um nur einige zu nennen. Viele Kleinode wurden in letzter Minute vor der Spitzhacke gerettet.

Inzwischen sind sechzehn Jahre vergangen. Zeit für eine - positive - Zwischenbilanz, sagte man sich im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und setzte eine Idee des 1973 gegründeten Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz in bemerkenswert kurzer Zeit um. "Denk!mal: Alte Stadt - Neues Leben" heißt eine Ausstellung, die noch bis zum 18. Dezember im Erich-Klausner-Saal des Bundesministeriums in der Berliner Invalidenstraße zu sehen ist. Nach dem Motto "Vorher - Nachher" wird auf bunten Schautafeln die Sanierung von Gebäuden, Straßen, Plätzen in rund hundert Städten gezeigt. "Wo Häuser verkommen, verkommen auch Menschen", titelt die Tafel von Marienberg im Erzgebirge. Naumburg an der Saale sieht "Alte Handelsstraßen auf neuen Wegen", und das brandenburgische Templin verkündet stolz die Sanierung von zwei Dritteln seines Stadtkerns.

"Eine Erfolgsgeschichte und ein gelungenes Beispiel für den Aufbau Ost" nennt es Stolpe. Für den Vorsitzenden der Expertengruppe Städtebaulicher Denkmalschutz, Michael Bräuer, ist es eine Ausstellung "gegen das zu schnelle Vergessen". "Was? So hat das einmal ausgesehen?" Diesen Satz höre er immer wieder, erklärte der ehemalige Staatssekretär im Bauministerium der DDR in der Regierung de Maiziére.

Doch gebe es bei der Stadtsanierung eben auch noch viel zu tun. Schließlich habe man erst die "Hälfte des Weges geschafft", so der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Dienstag voriger Woche auf einem Symposium im Rahmen der Ausstellung. Dreißig Jahre müßte man bei der umfassenden Stadterneuerung und dem Städtebaulichen Denkmalschutz in den neuen Bundesländern schon veranschlagen.

Bis zum heutigen Tage hat der Bund zur Rettung des "akut gefährdeten Kulturerbes" rund 1,49 Milliarden Euro für das seit 1991 bestehende Sonderförderprogramm Städtebaulicher Denkmalschutz in den neuen Bundesländern bereit gestellt. Hinzu kamen die Mittel der Länder und Gemeinden, so daß bisher insgesamt rund 3,7 Milliarden Euro zur Verfügung standen. Nicht zu vergessen der enorm wichtige "Bürgersinn" vor Ort, der mit enormem Engagement und viel Herz - wie in Stralsund - mehr als 800.000 Euro an Spenden zusammenbrachte.

Dabei waren die ersten Geldmittel auch die wichtigsten. Ging es doch erst einmal um die Notsicherung der maroden Gebäude, bei denen oftmals ungeklärte Eigentumsverhältnisse bestanden, um die notwendigsten Aufräumarbeiten und den Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur - die dann auch die anfänglich zumeist zurückhaltenden Investoren auf den Plan rief. Und dennoch bleibt noch viel zu tun.

Die öffentlichen Kassen sind leer, und so appelliert Minister Stolpe in erster Linie an die "Verantwortung der Bürgergesellschaft", die das "Schicksal unserer Heimatstädte selbst in der Hand" nehmen sollte. "Städte sind unser kulturelles Gedächtnis, ein historisches Stadtbild ist ständige Erinnerung an das aus der Tradition erwachsende Gemeinsame unserer Gesellschaft", erklärte der Bundesminister und verkannte nicht, daß es noch viele Probleme gibt: die starke Abwanderung von Ost nach West oder den Geburtenrückgang. Bei letzterem gab Staatssekretär Bräuer den vielen Schülern, die dem Symposium beiwohnten, den guten und einfachen Rat, eben mehr Kinder zu bekommen.

Fotos: Ausgebrannte Elisabethkirche in Berlin 1992 und heute: Die Wende kam gerade noch rechtzeitig, Stadtviertel in Halberstadt: Wertvolles Erbe erhalten, Betender Kartäuser: Kino und Kloster sind wahre Antithesen


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