© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Keine Kollektivschuld der Naturschützer
Eine vom Bundesumweltschutzministerium angeschobene Untersuchung über das Verhältnis von Naturschutz und Nationalsozialismus
Jochen Arp

Sind die Naturschützer kollektiv schuldig? Die Frage stand, wenn auch unausgesprochen, über einem wissenschaftlichen Fachkongreß zum Thema "Naturschutz und Nationalsozialismus", der im Juli 2002 auf Anregung des nun scheidenden Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, im Umweltforum Berlin veranstaltet wurde. Die Ergebnisse liegen nun in Form eines umfangreichen Bandes vor, der, wie ausdrücklich gesagt wird, "die besten Beiträge" des Kongresses zusammenfaßt.

Die Tagung sollte eine "Standortbestimmung jenseits von Apologie und Anklage" sein und die Frage der Naturschützer beantworten: "Auf wessen Schultern stehen wir?" Konzipiert und vorbereitet hatte den Kongreß der an der Bielefelder Universität lehrende Joachim Radkau, der ein Studium der Geschichte und Germanistik in Münster, Hamburg und Berlin zur Zeit der 68er absolvierte und 1970 bei Fritz Fischer in Hamburg promovierte. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, und das wird auch in den entsprechenden Beiträgen deutlich, daß Radkau und Trittin in ihren Auffassungen über die Geschichte des Naturschutzes übereinstimmen.

Naturschutz ist ursprünglich keine Idee der Linken

Wenn dem Naturschutz in der Zeit des Dritten Reiches attestiert wird, er sei "ausgesprochen vielgestaltig" gewesen, dann gilt das für die zusammengetragenen Beiträge ebenso. Immerhin schälen sich Erkenntnisse heraus, die eine Beurteilung sowohl des Naturschutzes als auch des Nationalsozialismus möglich machen. Naturschutz ist, das wird hier vielfach belegt, keineswegs eine Idee, die auf der linken Seite des politischen Spektrums geboren wurde. Der im Geiste der Romantik komponierende und lehrende Musikprofessor Ernst Rudorff und der Danziger Musikdirektor Hugo Conwentz waren es, die um 1900 dazu aufriefen, die durch die Industrialisierung gefährdete Natur mit ihren Denkmälern zu schützen. Sie fanden im Bildungsbürgertum ihrer Zeit überraschend viele offene Ohren.

Das Ergebnis war das Entstehen des Deutschen Bundes Heimatschutz, dem von den heutigen Kritikern um Jürgen Trittin bescheinigt wird, er sei elitär, weil seine Anhänger "gegen die Vermassung in der Stadt" ebenso agitierten wie gegen die "Verrummelung der Landschaft", also "zivilisationsfeindlich" waren. Und die der Heimatschutzbewegung nahestehenden anderen kulturkritischen Bestrebungen wie Jugendbewegung, Jugendherbergswerk, moderne Museumsinitiativen und andere förderten lediglich den Individualismus und wollten vor Vermassung schützen.

Ja, es sei nicht zu verkennen, so liest man, daß der Naturschutz in der Heimatliebe wurzele, und der "Schutz der Heimat" sei sowohl im Ersten wie auch im Zweiten Weltkrieg genutzt worden für die "Durchhaltepropaganda".

Was weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik gelang, das wurde in der Zeit des Nationalsozialismus durchgesetzt. Bereits im ersten Jahr der Kanzlerschaft Adolf Hitlers entstand das Reichnaturschutzgesetz (RNG), mit der die Grundlagen für den modernen Naturschutz gelegt wurden. Man erfährt in dem Band, daß sich hier die nach wie vor geltenden Kernbereiche jedes Naturschutzes wie der Grundkatalog der Naturschutzgebietstypen ebenso finden wie die Gliederung der Naturschutzverwaltung.

Die Schaffung von Fachbeiräten für Naturschutz, die noch heute in Ländern, Kreisen und Gemeinden vorgeschrieben sind, waren im RNG angelegt. Das Gesetz schrieb auch die Beteiligung des Naturschutzes an sämtlichen landschaftsverändernden Planungen vor. Artenschutz, Ausweisung von Naturschutzgebieten und Naturdenkmalen waren ebenso darin enthalten wie der Schutz wildlebender Pflanzen und nichtjagdbarer wildlebender Tiere (in den Naturschutzverordnungen.)

Eigentlich unter dem Niveau des Buches ist die mehrfach wiederbeholte Behauptung, die Naturschutzgebiete seien lediglich geschaffen worden, damit der "Reichsjägermeister" Hermann Göring darin seiner Jagdleidenschaft frönen konnte. (Immerhin gab es 1940 davon schon 800.) Das Reichnaturschutzgesetz galt weit über 1945 hinaus, nach Gründung der Bundesrepublik als Gesetze der neu geschaffenen Länder.

Höchst bedenklich in den Augen mehrerer Referenten, allen voran Minister Trittin, war allerdings die Vorschrift, die entschädigungslose Enteignung zugunsten des Naturschutzes vorsah, worin der kritische Blick sogleich den nationalsozialistischen Grundsatz erkennt, daß Gemeinnutz vor Eigennutz gehe. Allerdings wird zugegeben, daß diese Regelung eher als Drohung gedacht war, angewandt wurde sie kaum.

Dem Reichsnaturgesetz folgte sehr schnell das Tierschutzgesetz, in dem zum Beispiel vorgeschrieben wurde, daß warmblütige Tiere vor dem Schlachten zu betäuben seien. Tierversuche wurden rigoros eingeschränkt. Begründet wurde das Gesetz ausdrücklich damit, daß das Tier um seiner selbst willen geschützt werden müsse. Es fand international wie sogar heute noch Anerkennung, wenn auch kritisiert wird, daß das Gesetz das Schächten verbot, was als Beleg für Antisemitismus gedeutet wird.

Ein Reichsjagdgesetz schrieb das waidgerechte Jagen vor, wie auch eine umfangreiche Forstgesetzgebung auf den Weg gebracht, aber nicht vollendet wurde, weil der Krieg die Umsetzung unmöglich machte. Auch die ersten Umweltschutzgesetze traten in Kraft, so 1937 ein Wasserverbandgesetz, das Wasser- und Abwasserschäden abwenden sollte und dem Gewässerschutz diente.

Nicht zu übersehen ist, daß trotz der Gesetze schwerwiegende Eingriffe in die Natur vorgekommen sind, wie beim Bau der Reichsautobahnen, bei Entwässerungsarbeiten von Mooren, beim Bau von militärischen und Industrieanlagen. Allerdings erfährt man, daß beim Reichsautobahnbau ein "Reichlandschaftsanwalt" mit den von ihm eingesetzten "Landschaftsanwälten" für die einzelnen Bauabschnitte tätig war, die die Aufgabe hatten, die Autobahn in die Landschaft einzugliedern. Sie nahmen Einfluß auf den Verlauf der Trasse, planten Bepflanzungen von Böschungen, Einschnitten und Mittelstreifen, doch bescheinigen ihnen die heutigen Kritiker, daß sie sich nicht konsequent hätten durchsetzen können. Das allerdings ergeht heutigen Naturschützern bei Straßenbaumaßnahmen ähnlich.

Das alles klingt verhältnismäßig unproblematisch, wenn es nicht den mehrfach wiederholten Vorwurf gäbe, der damalige Naturschutz sei "in die aggressive Umsiedlungs- und Vernichtungspolitik" in den eroberten Ostgebieten involviert gewesen. Als Belege dienen Himmler-Reden, wonach im Wartheland und im Generalgouvernement "deutsche Landschaften" entstehen sollten, damit die dort neu angesiedelten Deutschen sich zu Hause fühlen könnten. Und hier kämen dann die Landschaftsplaner ins Spiel, die damit zu Werkzeugen der Nationalsozialisten geworden seien.

Allerdings findet man nur zwei Schilderungen von Aktivitäten solcher Landschaftsplaner im Osten: Walter Funcke, früher KPD-Mitglied, war an Siedlungsplanungen in Polen, dann 1942/43 an Grünlandplanungen und noch später am Bau von Gemüseanbaubetrieben in Rußland und Lettland beteiligt, und sein Planer-Kollege Reinhold Lingner, ebenfalls ehedem KP-Mitglied, plante Grünanlagen für verschiedene Kleinstädte im Osten. Beide Herren spielten seit Anfang der fünfziger Jahre eine führende Rolle in der Landschaftsplanung der DDR, nachdem man dort die gewaltigen dadurch entstandenen Schäden erkannt hatte.

Ideologisch grundsätzlich nicht unvereinbar

Wenn man auch nur unter Anstrengungen "typisch nationalsozialistische" Untaten im Wirken des damaligen Naturschutzes erkennen kann, bleibt den im Auftrag von Trittin tätig gewordenen Vordenkern der Naturschutzgeschichte die Frage, ob aus der bei Naturschützern damals wie heute vorherrschenden "Faszination der Wildnis" nicht "Faszination auch für das Wilde im Menschen" und damit zwangsläufig Desinteresse an Menschenrechten wird und der Gewalt freie Bahn schafft. Und der Minister kommt persönlich zu dem bedenklichen Schluß, daß es "keinen Punkt gab, an dem Naturschutz und Nationalsozialismus ideologisch grundsätzlich unvereinbar waren".

Daraus ergibt sich die Frage, ob im Grunde der Naturschutz nicht ebenso schlimm war wie der Nationalsozialismus. Radkau bemerkt, es sei eben "das vertrackte Problem, daß Nazis großenteils mehr oder weniger normale Menschen waren und daher zu vernünftigen Handlungen durchaus fähig". "Eine Kollektivschuld der Naturschützer gibt es nicht", entscheidet der abgewählte Umweltminister Trittin. Sonst hätte er sich schließlich auch einen der Äste abgesägt, auf denen er lange saß.

Foto: "Bund deutscher Mädchen"-Wandergruppe: Schafft die Faszination der Wildnis freie Bahn für die Gewalt?


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