© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

"Blockwartdenken und Gesinnungsschnüffelei"
Interview: Der Sozialdemokrat und Burschenschafter Friedhelm Farthmann über den Versuch, Korporationsstudenten die Mitgliedschaft in der SPD zu verbieten
Moritz Schwarz

Herr Professor Farthmann, der Bundesparteitag der SPD hat den Parteivorstand vergangene Woche damit beauftragt, "die Mitgliedschaft in einer studentischen Burschenschaft oder in einem Corps grundsätzlich für unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der Partei zu erklären". Müssen Sie sich jetzt zwischen der SPD und der Königsberger Burschenschaft Gothia zu Göttingen entscheiden, der Sie seit 1952 angehören?

Farthmann: Ich warte schon darauf, daß mir von so einem ewigen Studenten oder anderem halbgaren Witzbold meine sozialdemokratische Gesinnung abgesprochen wird, die ich in fünfzig Jahren Mitgliedschaft und unzähligen Wahlkämpfen erwiesen habe.

Sie halten das alles lediglich für einen "Juso-Dumme-Jungen-Streich"?

Farthmann: Ich hoffe jedenfalls, daß das so ist.

Der Beschluß des Parteivorstandes lautet nun, unvereinbar sei die Mitgliedschaft in einer "rechtsextremen" Verbindung - was auch immer das genau bedeuten soll bzw. wer auch immer darüber entscheiden mag, wer als "rechtsextrem" zu gelten hat.

Farthmann: Genaugenommen gehöre ich schon seit fünfzig Jahren keiner Studentenverbindung mehr an, sondern einem sogenannten Altherrenverein. Ich habe aber weder von meiner früheren Verbindung noch von dem Altherrenverein jemals "rechtsextreme" Botschaften vernommen.

Würden Sie eine generelle Unvereinbarkeitserklärung als eine Diskriminierung bezeichnen?

Farthmann: Die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in der SPD und einer studentischen Korporation ist auch vor Jahrzehnten schon diskutiert, aber nie ausgesprochen worden. Damals wäre es noch eher verständlich gewesen, weil die Korporationen in den fünfziger Jahren im hergebrachten Sinne wieder stark aufzuleben schienen. Seitdem haben sie sich jedoch so differenziert und auch liberalisiert, daß heute eine generelle Unvereinbarkeit nur als grotesk bezeichnet werden könnte.

Kann man sich der Einsicht verschließen, daß es sich hierbei nicht nur um eine einzelne Verirrung handelt? Immerhin veröffentlichte der Bundesvorstand bereits im Frühjahr 2005 eine 24 Punkte umfassende Handlungsanweisung zum Umgang mit "Rechten" (JF berichtete mehrfach), um die Parteimitglieder diesbezüglich zu diszipliniert.

Farthmann: Ich bin 1958 in die SPD eingetreten, weil sie für mich damals die Partei der Freiheit des Geistes war. Wenn heute Funktionäre in Führungspositionen gelangen, die das Dogma der Unvereinbarkeit vertreten und damit Gesinnungsschnüffelei und Blockwartdenken fördern, zeigt das, daß diese Funktionäre vom Kernanliegen der Sozialdemokratie nichts verstanden haben. Im übrigen waren es die Nazis, die in der langen Geschichte der studentischen Korporationen diese als letzte verboten hatten.

 

Prof. Dr. Friedhelm Farthmann, Jahrgang 1930, war von 1975 bis 1985 Landesminister und von 1985 bis 1995 Fraktionschef der SPD in Nordrhein-Westfalen. Von 1986 bis 1993 gehörte er zudem dem SPD-Bundesvorstand an.

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