© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Kolumne
Besinnung auf die eigenen Wurzeln
Klaus Hornung

Die denkenden Zeitgenossen sehen es: In Europa braut sich ein brisantes Gemisch zusammen aus ethnischen, sozialen und religiösen (auch pseudoreligiösen) Konflikten, das den alten Kontinent rascher in die Luft jagen könnte, als viele ahnen. Noch versuchen die medialen und politischen Kommandohöhen das alles mit der Political-Correctness-Keule unter der Decke zu halten.

Kürzlich hat nicht irgendwer, sondern die als Generalsekretärin der Académie Française zu den "Unsterblichen" zählende Hélène Carrère d'Encausse im russischen (!) Fernsehen das große Tabu des Westens in unseren Tagen frontal angegriffen und etwa auf die Polygamie mit vier, fünf Frauen und 25 Kindern in den Unterkünften der französischen Banlieues hingewiesen und noch auf einiges anderes: "Wir haben Gesetze, die von Stalin sein könnten. Wenn Sie in Paris sagen, es gibt zehn Schwarze im Fernsehen, kommen Sie in ins Gefängnis."

Begriffe wie "französische Muslime", "Franzosen afrikanischer Herkunft" oder "Deutsch-Türke" gehören zum Standard-Vokabular des westlichen säkular-republikanischen Verständnisses von Einwanderung.

Hinter der Vorstellung, vor allem der französische, britische, deutsche Paß mache aus Einwanderern wie durch Zauberhand "Staatsbürger", "Mitbürger", steckt das Aufklärungskonstrukt des abstrakten Menschen und isolierten Individuums der Gleichheit und Freiheit. Doch das sieht die Mehrheit der Einwanderer ganz anders. Sie nehmen natürlich den Paß und mit ihm vielleicht auch den Wohlstand. Aber sie wollen, wie wir heute wissen, vor allem "sie selbst" bleiben in Ghettos und Parallelgesellschaften. Was soll für sie so attraktiv sein an Integration in eine Gesellschaft, die sie als wenig vorbildlich empfinden können und der sie die Kräfte (und oft die schiere Masse) der eigenen Herkunft, Kultur, Religion, Tradition entgegensetzen.

Hier befindet sich der Frontverlauf des längst begonnenen Kampfes der Kulturen. Die Folgerung kann nur lauten: Wenn wir nicht "Eurabia" den Weg bereiten wollen, kann nur die Besinnung auf die eigenen europäischen Wurzeln der Kultur, Religion und Tradition die Voraussetzungen schaffen, in diesem großen Kulturkonflikt und damit in der Welt von morgen zu bestehen. "Aufklärung über die Aufklärung" (Ernst Topitsch) und die Durchleuchtung ihrer allzu simplen rationalistischen und individualistischen Tabus wird in diesen Tagen zur wichtigsten Aufgabe der Denkenden in Europa.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaften an der Universität Hohenheim.


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