© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Die Öko-Steuer wird nicht angetastet
Koalitionsvertrag: Beim Tier- und Umweltschutz herrscht weitgehend Kontinuität / Aber Änderungen im Detail
Volker Kempf

Ist Wachstum alles?" fragte der Sozialphilosoph Günter Rohrmoser kurz vor der Bundestagswahl auf der Internetseite der Gesellschaft für Kulturwissenschaften ( www.gfk-web.de ) und antwortete mit einem klaren "Nein". Denn eine Gesellschaft läßt sich nicht auf Fragen der Wirtschaft reduzieren, schon gar nicht auf ewiges Wirtschaftswachstum festlegen. Im Gegenteil, eine Gesellschaft, in der das Wachstumsdenken alles beherrscht, ist labil. Es bedarf verbindender Werte, die national, heimatschützerisch oder christlich sein können, um eine Gesellschaft nicht nur an einen wunden Punkt zu binden.

Mit mehr Geld soll mehr Wachstum erzielt werden

Die Bundestagswahlen sind mittlerweile abgeschlossen, ebenso der Koalitionsvertrag zwischen CSU/CSU und SPD. Rohrmosers Frage wird hier damit beantwortet, daß Wachstum weiterhin alles sein soll. Angela Merkel wurde vor wenigen Tagen immerhin mit den Worten zitiert, man könne nicht (mehr) mit mehr Schulden Wirtschaftswachstum erwirken. Die Konsolidierung des Haushalts bleibt ein wichtiges Ziel. Die symbolische Kürzung des Weihnachtsgeldes für Politiker und Bundesbeamte zeigt, daß man es vielleicht sogar ernst meint.

Freilich fragt man sich, wie "neues Wachstum" durch günstigere Bedingungen für das Handwerk und den Mittelstand finanziert werden soll. Die Antwort geht insbesondere dahin, daß ein Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung in die Reduzierung von Lohnnebenkosten fließen soll, so daß das Vorhaben sogar gegenfinanziert ist.

Ebenfalls ist vorgesehen, Ausgaben für Forschung und Entwicklung zu steigern. Wenn dann allerdings der Verkehrssektor "wachsen" soll, dann zeigt sich, daß doch mit mehr Geld mehr Wachstum erzielt werden soll, möchte man auch privates Kapital dafür gewinnen. Umweltverbände üben gerade an dieser Stelle Kritik, weil Klimaschutzbestrebungen, zu denen man sich bekennt, damit konterkariert werden.

Daß Wachstum alles sein soll, zeigt vor allem die Tatsache, daß die EU als erstes als ein Gebilde für "mehr Wachstum und Beschäftigung" verstanden wird: "Wir treten ein für die weitere Vollendung des Binnenmarktes als wichtigsten Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung." Entsprechend wird die "künftige Gestaltung der EU-Chemikalienpolitik" als "ein zentraler Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Wettbewerbs-Strategie" angesehen. Denn: "Die chemische Industrie spielt eine wichtige Rolle bei der wirtschaftlichen Wertschöpfung in Deutschland."

Umweltschutz- und Verbraucherinteressen verlieren sich dagegen in nichtssagenden, weil zu allgemein gehaltenen Formulierungen. Eine drohende Verwässerung der Schutzbestimmungen vor gefährlichen Chemikalien (Stichwort: neue EU-Chemikalienrichtlinie Reach, JF 25/05) und das Aufweichen bislang vorbildlicher Haftungsregeln in der Agro-Gentechnik sind sogar als Rückschlag beim Verbraucherschutz zu sehen.

Kompromißlose Fortsetzung des rot-grünen Atomausstiegs

Die Streichung der Eigenheimzulage darf dagegen als ökologisch sinnvoll angesehen werden, kam sie auch mehr aus finanzieller Not heraus zustande als aus Einsicht. Die kompromißlose Fortsetzung des Atomausstiegs darf indes als kleine Überraschung gewertet werden, da er die Volkswirtschaft auch belastet. Hier war Wirtschaftswachstum einmal nicht alles. Erwartungsgemäß wurde die Öko-Steuer nicht angetastet.

Der Emissionshandel wird weiterentwickelt. Dabei soll im Rahmen - längst überfälliger - EU-weiter Bemühungen auch der Flußverkehr "in angemessener Weise" berücksichtigt werden. Die Förderung alternativer Energien soll in ihrer "Grundstruktur" fortgeführt werden. Bei Windanlagen, denen Angela Merkel und die Union zuletzt mit großer Skepsis begegneten, sollen die Bemühungen auf "Erneuerung" bestehender Anlagen und auf die Errichtung von Offshore-Stromerzeugung konzentriert werden.

Nachdem die Zahl der Tierversuche unter der rot-grünen Bundesregierung weiter anstieg (2004 um 153.148 Tiere gegenüber dem Vorjahr), sollen in Zukunft vermehrt Alternativmethoden gefördert werden. Zu diesem Zweck wurde von der neuen Bundesregierung eine Expertengruppe gebildet, die anhand der jährlich gemeldeten Versuchstierdaten Bereiche ausfindig machen soll, in denen Tierversuche reduziert oder durch andere Methoden ersetzt werden können.

Auch eine Schweinehaltungsverordnung soll endlich auf den Weg gebracht werden. Weitere Desiderata der Tierschutzpolitik, wie sie etwa in dem Anfang 2005 erschienenen Jahrbuch "Naturkonservativ heute" der Herbert-Gruhl-Gesellschaft aufgezählt werden, bleiben noch offen.

Die Prioritäten zwischen Wachstumspolitik einerseits und Tier- sowie Umweltschutzpolitik andererseits sind nicht grundverschieden zu denen der Vorgängerregierung. Es wurden vor allem Korrekturen und Weiterentwicklungen im Detail vorgenommen.


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