© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Pankraz,
Herr Haag und die Vorteile guter Frisuren

Gleich in zwei Romanen der letzten Zeit (beide durchaus Extraklasse) spielen Friseure eine herausgehobene Rolle: in Martin Mosebachs diesjährigem Messeknüller "Das Beben" und in Wolf Wondratscheks "Mozarts Friseur" von 2002. Auch sonst kommen Friseure in der deutschen Literatur gut weg, man denke an den Herrn Wenzel in Thomas Manns "Buddenbrooks", der die Spitzen der Lübecker Bürgerschaft allmorgendlich respektvoll über die Löffel balbiert und im Zusammenhang damit eine höchst nützliche kommunikative Funktion ausübt.

Bei Mosebach ist es Herr Haag, der Friseur des Superweibs Manon, der den Leser erstaunt. Manons Liebhaber entdeckt, daß nicht er und auch nicht andere Konkurrenten um die Gunst von Manon den Zentralpunkt von deren Leben bilden, sondern Herr Haag, obwohl (oder gerade weil) er auch hier reine Funktion bleibt, die Dame eben "nur" frisiert. Jedoch: "Er war vielleicht der wichtigste Mann in ihrem Leben, der Mann, dem sie kindlich vertraute, der nichts von ihr verlangte, der ihr zuhörte und sie beriet, ohne böse zu sein, wenn sie seinen Rat nicht befolgte."

Wondratscheks in Wien tätiger Herrenfriseur ist aus dem Orient zugezogen und entfaltet in seinem Salon dementsprechend, freilich nur sozusagen, die Düfte desselben. Das heißt, er versteht es, seine an sich eher schlichten Kreationen mittels kleiner Spezialgesten derart mit dem Hauch des Exotischen und Erlesenen zu umgeben, daß seine Kunden geradezu in höhere Sphären versetzt werden, zu Symbolen und historischen Parabeln erblühen.

Aber auch an ihm ist nichts Aufgedonnertes, gewollt Preziöses, auch er ist lediglich ästhetische Funktion, hält die Handlung in Gang, ohne im Mittelpunkt zu stehen. Er hat nicht einmal einen eigenen Namen, bleibt das ganze Buch hindurch "Mozarts Friseur". Der Gedanke liegt nahe, daß in der deutschen Literatur die Friseure just ihrer dezenten Funktionalität wegen so geachtet sind. Die Deutschen gelten ja als Liebhaber optimaler, "wie von selbst" sich entfaltender Funktionalität.

Zusätzlich mag noch die alte Vorstellung im Spiel sein, daß der Friseur mit seiner Perückenmacherei und Bartschererei mehr in der Hand hat, als ihm eigentlich zusteht. Er ist und war schon immer für die Dauer eines Termins gleichsam der absolute Herr über das Gesicht des Kunden, mochte dieser noch so hohen Ranges sein. Man mußte ihn notwendigerweise an sein Edelstes heranlassen und hatte Folgen einzukalkulieren. Das verschaffte Ansehen.

Es gibt eine von Johann Peter Hebel fixierte Anekdote, wo ein grober Landsknecht in den Laden kommt und brüllt, er wolle rasiert werden, aber wenn man ihm dabei auch nur die kleinste Kratzwunde zufüge, werde er mit dem Täter im selben Augenblick kurzen Prozeß machen. Der Meister kneift, der Geselle kneift, doch der Lehrjunge wetzt das Messer und kratzt dem Schlagetot frischweg die Stoppeln von der Visage. Und als dieser den Jungen verwundert fragt, ob er denn gar keine Angst gehabt habe, antwortet der: "Wieso denn? Ich hatte Euch ja in der Hand. Bei der ersten kleinen Wunde hätte ich Euch sogleich die Gurgel durchgeschnitten."

Die Gelehrten streiten darüber, ob Hebels Anekdote eine bewußte, "typisch deutsche" Paraphrase auf "Figaros Hochzeit" von Beaumarchais gewesen ist, wo der "Figaro", der Coiffeur, der Friseur, bekanntlich zum Vorboten der Revolution wird und sein Rasiermesser zur mörderischen Guillotine avant la lettre. Sei dem nun, wie ihm wolle - dem Friseur wohnt zweifellos eine soziale Dimension inne, die weit über seinen speziellen Beruf hinausreicht. Die Intimität, die er zu uns herstellt, ist weitaus inniger als die sämtlicher Chirurgen, Urologen und Gynäkologen, die wir im Lauf unseres Lebens an uns heranlassen müssen, zusammengenommen.

Insofern bedeutet die mediengeile Extrovertiertheit und Clownhaftigkeit gewisser Mode-Friseure, deren Bilder und Eigenheiten unsere Klatschblätter aufsuchen, wieder einmal nichts weiter als Degeneration, Verkommenheit, Prostituierung eines Gewerbes, dessen Kern jahrhundertelang die lautlose Delikatesse war. Glücklicherweise hält sich die Vorbildfunktion von "berühmten Coiffeur-Stars" in der Branche in engen Grenzen. Man kann sogar das Urteil wagen, daß die Friseurzunft jene Zunft ist, die sich ihre Traditionen am reinsten bewahrt hat.

Natürlich hat das mit dem spezifischen Gegenstand des Gewerbes zu tun, dem menschlichen Gesicht. Jedes Gesicht ist einmalig, jede Frisur erfordert, um wirklich gut zu sein, eine ganz und gar einmalige, auf das jeweilige Gesicht zugeschnittene Behandlung. Massenproduktion ist hier nicht möglich bzw. führt sich sofort ad absurdum; ihr "Ideal" ist der Zuchthaushaarschnitt, Glatze und Dreitagebart bei den Männern, für die weiblichen Häftlinge 08/15-Frisur auf allerunterstem Niveau.

Jeder Modefrisur, und sei sie die raffinierteste oder mondänste, wohnt etwas von diesem Zuchthaushaarschnitt inne. Jede kann zur Diktatur werden, die einer oder eine aus irgendwelchen Gründen tragen muß oder beflissen tragen will, ob sie ihnen steht oder nicht.

Parallel dazu gibt es eine Anti- oder Protestmode, die jemand sich verpassen läßt, weil er gegen gewisse Zustände, die "herrschende Mode", aufbegehrt. Solche Anti-Mode kann (man denke an die Verhaftungspraktiken und ihre Motive in den verflossenen kommunistischen Staaten) direkt hinter Gitter führen. Gegen sie ist in der Regel auch der feinfühligste Friseur einflußlos, weil ihr Träger gar nicht mehr nach seinem eigenen Gesicht fragt, nur noch - nicht viel anders als seine Widersacher - ganz bewußt ein Kollektivgesicht tragen will.

Normalerweise freilich gilt: Ein wahrer Friseur kann einem viel ersparen. Es macht schon Sinn, wenn die Friseure bei guten Schriftstellern so gut abschneiden.


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