© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Ethikrichtlinie
Karl Heinzen

Seit Mitte der 1990er Jahre versucht Wal-Mart, der umsatzstärkste Handelskonzern der Welt, auch in Deutschland Fuß zu fassen. Ein Erfolg blieb dem Unternehmen dabei bisher versagt. Schuld daran tragen nicht nur mächtige Konkurrenten wie Aldi und Lidl, sondern vor allem das rigide deutsche Preisrecht, restriktive Bebauungspläne sowie archaische Mitbestimmungsregeln.

Nun macht sich das unter Massenerwerbslosigkeit ächzende Deutschland beim weltgrößten Arbeitgeber auch noch zusätzlich unbeliebt, indem es ihm freie Hand in der Ausgestaltung der innerbetrieblichen Ordnung verwehrt: In zweiter Instanz erklärte das Landgericht Düsseldorf weite Teile einer Ethikrichtlinie für ungültig, die das Unternehmen Anfang dieses Jahres als verpflichtend für alle knapp 12.000 Beschäftigten in 74 deutschen Filialen erlassen hatte. Wal-Mart wollte seinen Mitarbeitern untersagen, Geschenke oder Trinkgelder anzunehmen und sich "unangemessen" am Arbeitsplatz zu betragen. Vermutete Verfehlungen von Kollegen sollten über eine Hot-line gemeldet werden.

Diese Bestimmungen, so das Gericht, hätten der Zustimmung der Arbeitnehmervertretung bedurft, eine solche war jedoch nicht eingeholt worden. Gar mit dem Grundgesetz unvereinbar sei das Verbot, Liebesbeziehungen mit Kollegen einzugehen, wenn damit die "Arbeitsbedingungen dieser Person" beeinflußt werden könnten. Nicht einmal in das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen dürfte durch ein derartiges Reglement hineinregiert werden.

Was auf den ersten Blick als eine juristische Intervention im Dienste der Persönlichkeitsrechte erscheinen könnte, erweist sich bei näherem Hinsehen als das genaue Gegenteil. Niemand wird gezwungen, bei Wal-Mart zu arbeiten und damit die Ethikrichtlinie anerzuerkennen. Wer dies tut, handelt aus freiem Entschluß. Einem Unternehmen wiederum muß es freistehen, welche Qualifikationen es von seinen Beschäftigten verlangt. Insbesondere für einen Handelskonzern, dessen Mitarbeiter zumeist in ständigem Kundenkontakt stehen, kann es keine schematische Trennung zwischen deren Berufs- und Privatleben geben. Jeder, der auf der Verkaufsfläche oder an der Kasse agiert, wird als Repräsentant des Ganzen wahrgenommen. Entsprechend hoch müssen die Anforderungen an charakterliche Integrität, einen tadellosen Lebenslauf, gepflegtes Aussehen und perfekte Manieren sein. So gesehen sind die Wünsche von Wal-Mart sogar eher moderat. Man müßte von Mitarbeitern noch viel mehr verlangen dürfen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen