© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/05 02. Dezember 2005

Pankraz,
V. Plame und die Krise der Schmutzaufwühler

In den amerikanischen Medien herrscht ein großes Wehgeschrei über "das Ende des investigativen Journalismus". Immer mehr "Star-Reporter", die sich bisher als unabhängige, einzig und allein der Wahrheit verpflichtete "Schmutzaufwühler" stilisierten und als solche auch von der Öffentlichkeit akzeptiert und bestaunt wurden, werden als Schießbudenfiguren entlarvt. Sie haben sich willig, allzu willig "Exklusiv-Nachrichten" zustecken lassen, mit deren möglichst sensationell aufgemachter Publikation CIA und Regierung Politik machen wollten.

Auslöser der jetzigen Aufregung ist der Fall des Diplomaten Joe Wilson, der mit der Bush-Regierung wegen des Irak-Krieges über Kreuz geriet, seine Kritik öffentlich machte und dadurch äußerst unbequem wurde. Um sich an ihm zu rächen, informierte das Weiße Haus ausgewählte "Star-Reporter" und "Schmutzaufwühler" darüber, daß Wilsons Frau, Valerie Plame, geheime CIA-Mitarbeiterin sei. Und die Starwühler nahmen die Mitteilung voller Gier auf und machten eine große Story daraus.

Aber es waren zu viele, denen die "Exklusiv-Nachricht" zugesteckt worden war, sie kamen sich mit ihrer vermeintlichen Exklusivität alsbald in die Quere, beschuldigten sich gegenseitig der Komplizenschaft, und nun stehen sie allesamt blamiert da: Judy Miller von der New York Times, Matt Cooper vom Time Magazine, Tim Russert vom Fernsehsender NBC, ja, sogar Bob Woodward von der Washington Post, der vor Zeiten die Watergate-Affäre ins Rollen gebracht hatte, die zum Sturz von US-Präsident Nixon führte, und der seitdem gleichsam als Heiliger des investigativen Journalismus verehrt wurde.

Die Affäre ist freilich nicht zum Weinen, eher zum Lachen. Der Ruhm der Schmutzaufwühler war noch nie viel wert, galt an sich immer nur innerhalb von Journalistenzirkeln und diente dort der eitlen Beweihräucherung, sei es der eigenen Person, sei es der Branche insgesamt. Daß ein unabhängiger Journalist auf eigene Kosten Kriminalkommissar spielt und ein veritables Verbrechen aufdeckt, kommt faktisch nicht vor, ist übrigens auch nicht wünschenswert. Guter Journalismus und gute Polizeiarbeit sind zwei verschiedene Stiefel.

Die "Recherche" eines guten Reporters besteht darin, daß er die Augen und Ohren offen hält, sich auf sein jeweiliges Thema sorgfältig und kenntnisreich vorbereitet, geduldig und sachlich zu fragen und zuzuhören versteht und das Erfahrene in blendende Prosa bzw. präzise Bilder umsetzt. Sie besteht nicht darin, der Polizei und dem Staatsanwalt die Arbeit abzunehmen, in ihrem Interesse in Privat- oder gar Intimsphären herumzuschnüffeln, Müllcontainer auszukippen, zu lügen und zu betrügen, um an irgendwelche Spezial-Infos heranzukommen.

Sobald es um Geld und Macht geht, sich die Recherche auf Vorgänge in der großen Geschäftswelt oder in der Politik ausdehnt, komplizieren sich die Dinge ohnehin. Der Reporter verliert sofort seine Unabhängigkeit, seinen Standort au-dessus-de-la-melée, wird, ob er will oder nicht, zum Bestandteil des Spiels, über das er doch ursprünglich nur berichten wollte bzw. sollte. Schließlich braucht er Abnehmer, die seine Sachen drucken oder senden, und das sind meistens auch Auftraggeber, die ihre eigenen Interessen verfolgen. Das ist schon mal das erste.

Die Information wird selber zur Politik, nämlich zum Billardstoß, es geht nicht mehr um ihre Wahrheit, sondern nur noch um ihre Wirkung. Und die beteiligten Politiker als potentielle Auskunftgeber sind gegenüber dem Reporter immer im Vorteil, es sei denn, dieser verfügt über Mittel, um zu erpressen oder zumindest unter Druck zu setzen, und wendet diese Mittel auch an. Er wird dann seinerseits zum Politiker, und wie bei Politikern üblich verknüpfen sich seine, mag sein, anfänglich hehren Absichten mit handfesten Interessen und Vorteilnahmen.

Pankraz hat manche berühmten Schmutzaufwühler aus nächster Nähe beobachten können, und er riskiert das Urteil: Kein einziger von ihnen war ein hochedler Wahrheitsengel, der wie weiland Luther glaubhaft tönte: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders!" Durchweg alle agierten und reagierten als eiskalte Geschäftemacher und Leute-Kaputtmacher, die nie nach dem moralischen Karat ihrer eigenen Methoden oder ihrer Info-Quellen fragten. Wohl nicht alle waren direkt mit Geld zu bestechen, aber alle waren bestechlich, wenn es um die "Exklusivität" ihrer Quellen ging, um den "Scoop", dessen Präsentation Aufmerksamkeit, persönlichen Einfluß - und natürlich doch auch Geld, viel Geld, verhieß.

Kein Wunder, daß die Politiker gerade die berühmtesten Schmutzaufwühler schon früh zu instrumentalisieren und für ihre eigenen Zwecke einzuspannen wußten. Und die Schmutzaufwühler merkten es manchmal gar nicht. Geschmeichelt durch die Prominenz ihrer (Schein-)Informanten, fasziniert vom höheren Indianerspiel der offiziellen, "streng vertraulichen" Geheimnistuerei, besorgten sie nur allzu oft just die Geschäfte derer, denen sie am Zeug zu flicken glaubten. Der "Fall Plame" ist da keine Ausnahme, sondern spiegelt nur die Regel.

Das öffentliche "Entsetzen" über die "dunklen Seiten der großen Investigatoren" ist denn auch weitgehend bloß geheuchelt. In Wirklichkeit dominiert Schadenfreude, nicht zuletzt unter den Kollegen des "Helden von Watergate", Bob Woodward, der - so die fast einhellige Meinung in der Washington Post - wegen seiner jahrzehntelangen Starallüren schon lange eine gründliche Abreibung verdiente, wie sie ihm nun endlich zuteil ward.

Den Medien allgemein kann der "Fall Plame" nur helfen (vorausgesetzt, daß ihnen überhaupt noch zu helfen ist). Es könnte so etwas wie eine Flurbereinigung geben. Politik und Medien, so lernt man, gehören grundsätzlich auf zwei verschiedene Seiten der Barrikade. Eitle Grenzgänger schaden nur.


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