© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/05 02. Dezember 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Entschärfung
Karl Heinzen

Sport, so meint die Vollversammlung der Vereinten Nationen, sollte mehr als bisher als ein "Instrument der Entwicklung und des Friedens" eingesetzt werden. Die Vorstellung, die dieser Forderung zugrunde liegt, ist in der Tat verlockend: Wo die Diplomatie versagt und Konflikte militärisch zu eskalieren drohen, könnten ja die Menschen der betroffenen Staaten aufeinander zugehen und durch die Ausrichtung gemeinsamer Sportveranstaltungen den Willen zu einem friedlichen Miteinander zum Ausdruck bringen. Leider haben die häßlichen Begleitumstände der beiden Relegationsspiele zur Qualifikation für die Fußball-WM, die jüngst zwischen der Türkei und der Schweiz ausgetragen wurden, wieder einmal vor Augen geführt, daß ein derartiger Optimismus kaum begründet ist. Es scheint vielmehr so zu sein, daß ausgerechnet von den Zivilgesellschaften ein hohes Risiko ausgeht. In Ermangelung eines Krieges pflegen sie nämlich gerade den Sport als Schaubühne zu wählen, um wechselseitig Vorurteile aufzubauen und Aggressionen auszuleben.

Es überrascht daher nicht, daß der Präsident des Weltfußballverbandes, Joseph Blatter, laut darüber nachgedacht hat, wie die "explosive Stimmung" im Umfeld von Länderspielen, die durch "Nationalismus gepaart mit Leidenschaft und Emotionen" geschürt wird, entschärft werden kann. Er schlägt vor, das alte Ritual, vor dem Spiel die Nationalhymnen zu intonieren, abzuschaffen. Darüber hinaus sollte man "Risikospiele" grundsätzlich auf neutralem Boden austragen.

Der Kern des Problems würde durch diese Maßnahmen jedoch nicht berührt. Solange es Teams gibt, die als "Nationalmannschaften" firmieren, bleiben sie ein Magnet für chauvinistische Regungen, die Feindschaft zwischen den verschiedenen Teilen der Weltgesellschaft säen. Wer solches nicht will, muß dieses Etikett also gänzlich abschaffen.

Auf einträgliche Großveranstaltungen wie etwa Weltmeisterschaften braucht man deshalb nicht zu verzichten. Man sollte sich aber davor hüten, sie ausgerechnet mit prominenten Vereinsmannschaften austragen zu wollen. Auch aus Deutschland wissen wir, welcher Haß oft zwischen bestimmten Clubs regiert, in Südeuropa oder Lateinamerika ist die Lage noch viel prekärer. Eine Lösung wäre es hingegen, multiethnische Teams unter der Flagge global agierender Sponsoren antreten zu lassen. Ein WM-Endspiel zwischen den Teams von Adidas und Coca Cola wäre unbelastet von aufgeputschten Emotionen. Schlechteren Fußball bekämen die Zuschauer nicht zu sehen.


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