© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

Frisch gepresst

Schmitts Militärzeit. Mit großen Mühen werden die Tagebücher des Staatsrechtslehrers Carl Schmitt dechiffriert, der sich der heute vergessenen Gabelsberger Stenographie bediente. Nachdem der erste, 1912 bis 1915 umfassende Band (2003) gerade in zweiter Auflage erschien, erschließt nun eine stattliche, von Ernst Hüsmert und Gerd Giesler besorgte Edition die Münchner Etappenjahre Schmitts (Die Militärzeit 1915 bis 1919. Tagebuch Februar bis Dezember 1915. Aufsätze und Materialien, Akademie Verlag, Berlin 2005, 587 Seiten, gebunden, Abbildungen, 49,80 Euro). Seine NS-Feinde wie Otto Koellreutter hätten an vielen Bekenntnissen ihre wahre Freude gehabt. Bestätigen sie doch, daß der schneidige Theoretiker existenzieller Freund-Feindschaften nicht nur "keinen scharfen Schuß" hörte, sondern daß er sich als "Antimilitarist" in Uniform fühlte. Angstgeschüttelt fürchtete er sich vor einem Frontkommando, als "ekelhaft" empfand er die Aussicht, "totgeschossen zu werden für nichts und wieder nichts". Schmitts nach 1945 nicht weniger zahlreichen, heute noch aktiven Feinde wiederum dürften solche Notate aus der Feder eines Mannes überraschen, der 1934 den historischen Sieg des Bürgers über den Soldaten beklagte. Zu den paradoxen Fügungen der Biographie des Plettenbergers gehört es dann, daß ausgerechnet Schmitt ab 1917 im Münchner Stellvertretenden Generalkommando als Zensor für die Überwachung der publizistischen Agitation pazifistischer und sozialistischer Ultras zuständig war.

 

Verortete Ethik. Angesichts schwindender Gemeinwohlorientierung und verbreiteter Friedlosigkeit bedarf es realistischer ethischer Reflexion, nicht wohlfeiler Moralismen. Gegen einseitig "neoliberale" und sozialistische Fortschrittsideologien sowie Weltstaatsideen könnte die sokratisch-platonische Besinnung auf den Vorrang des Gemeinwohls und die Bedeutung geistig-seelischer Güter helfen. So der Philosoph Karl-Heinz Nusser, Schüler von Helmut Kuhn und Robert Spaemann, der im kritischen Durchgang durch Kant, Weber, Rawls und Habermas eine Vorstellung von Moderne entfaltet, die gegen Ideologisierungen der politischen Ethik gefeit ist (Über die Wurzeln des demokratischen Gemeinwesens oder: Der Fortschritt und die Sorge um den Menschen. Alber Verlag, Freiburg/Breisgau 2005, 214 Seiten, broschiert, 22 Euro).


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