© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

Ein Gruß vom Himmel
Die Sopranistin mit dem "schier sirenischen Klangreiz", Elisabeth Schwarzkopf, feiert ihren neunzigsten Geburtstag
Jochen Wendt

In seinem Handbuch über "Die großen Sänger" ist für den hyperkritischen Jürgen Kesting ist das Maß aller Dinge natürlich die Maria Callas der Jahre 1948 bis 1958. Nur einer deutschen Diva widmet er soviel Raum, daß allein dies schon signalisiert, hier könnte eine Ebenbürtige porträtiert werden: Elisabeth Schwarzkopf.

Die am 9. Dezember 1915 in der preußischen Provinz Posen, in Jarotschin, geborene Sängerin, deren leicht rollendes R noch heute das östliche Idiom ihres Herkunftsraums verrät, ist zehn Jahre älter als die Callas, doch die Zeit ihrer stärksten Bühnenpräsenz und ihres Weltruhms fielen ins Dezennium, als der Stern der griechischen Prima donna assoluta alles überstrahlte. Elisabeth Schwarzkopfs Spitzenstellung in der Rangliste der besten Sängerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts, die Kesting ihr einräumt, tat diese Zeit als "Schattenfrau" der Callas keinen Abbruch. Wer heute Aufnahmen der beiden Künstlerinnen aus den Fünfzigern vergleicht, entdeckt die Schwarzkopf trotz ihrer weniger kräftigen Stimme sogar als das weit vielseitigere Gesangstalent.

Die "Intensität der Phrasierung, der Phonation, der Wortnuancierung, der farblichen Beleuchtungen", die Kesting rühmt, ergeben dann den "schier sirenischen Klangreiz", der tatsächlich "zum Schönsten" gehört, was Frauenstimmen überhaupt bieten. Mit den Worten der Sophie aus dem "Rosenkavalier": Diese Stimme ist "wie ein Gruß vom Himmel", "ist bereits zu stark, als daß man's ertragen kann". Daß Opernzirkus heute, wo Anna Netrebko nicht als russische Eisprinzessin, sondern als Sängerin reüssieren darf, nichts Gleichwertiges aufweist, hat mit dem Verschwinden deutscher Musikkultur zu tun, in die Elisabeth Schwarzkopf als Schülerin der Altistin Lula Mysz-Gmeiner hineinwuchs und die selbst im fernen Athen während der deutschen Besatzung kräftig genug war, um Maria Callas zu prägen.

Um zu ermessen, auf welchem Niveau die deutsche Opernkultur 1938 stand, als Schwarzkopf ihre Karriere in Berlin begann, sei nur, um in der Damenwelt zu bleiben, an Namen wie Erna Berger, Maria Cebotari oder Tiana Lemnitz erinnert. Als Elisabeth Schwarzkopf 1942 an die Wiener Staatsoper wechselte, sah das so aus, als wiche sie dieser starken Konkurrenz. Es gab wirklich Querelen, aber weniger mit Kolleginnen als mit der "Chefebene".

Daß die eminent ehrgeizige Perfektionistin Schwarzkopf in dieser Zeit "in die Partei" eintrat, kann nur Weltfremde empören. Als dies kurz vor ihrem 85. Geburtstag medienwirksam skandalisiert wurde, reagierte sie leider falsch: Sie bestritt ihre NSDAP-Mitgliedschaft, die sich ohnehin für ihre Laufbahn als belanglos erwiesen hat. Zumal der steile Aufstieg erst nach 1945 begann, gefördert von ihrem britischen Ehemann Walter Leege, von Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan. Auf den großen Bühnen, in Covent Garden, an der Scala und in Salzburg, konzentrierte sie sich auf wenige Mozart- und Strauss-Partien, brillierte daneben als Operetten- und Lied-Interpretin.

Unerreicht dürften ihre Encores sein, darunter das "Ständchen" von Brahms, das sie noch 1970 einspielte, oder, eines ihrer Lieblingsstücke, das Idyll Glucks, "Einem Bach, der fließt", oft vorgetragen, aber nach einer Aufnahme vom 4. Januar 1954 auch von ihr selbst nicht mehr überboten. Von vielen der Liederabende, die die Ritterin der Friedensklasse des Pour le Merite zur Freude ihres Publikums bis 1977 zelebrierte, sind Mitschnitte erhalten, ihre Diskographie ist kaum zu überschauen. Der 90. Geburtstag, den Elisabeth Schwarzkopf in dieser Woche in ihrem Vorarlberger Domizil feiert, möge Anlaß zur Wieder- oder Neuentdeckung dieser in den Zauber der Spätromatik gehüllten Klangschätze sein.

Foto: Maria Callas und Elisabeth Schwarzkopf, 1959: Spitzenstellung in der Rangliste der besten Sängerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts


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