© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/05 01/06 23./30. Dezember 2005

Schrumpfpatriotismus
Identität: Diskussion über Vaterlandsliebe in Zeiten der EU
Tobias Westphal

Das Thema zieht immer. Über dreihundert Zuhörer lauschten in der vergangenen Woche in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin dem Gespräch zwischen den renommierten Historikern Hans-Ulrich Wehler und Hans-Peter Schwarz zur Zukunft des Patriotismus in Deutschland.

Während Wehler für einen aufgeklärten Patriotismus plädierte, beklagte Schwarz zunächst den gegenwärtigen deutschen "Schrumpfpatriotismus". Verstärkt durch den Multikulturalismus tue man sich heute um so schwerer, auf seine eigene Sprache, auf die deutsche Geschichte und Kultur stolz zu sein. Er erinnerte an die unterschiedlichen Ausprägungen wie Wirtschafts- und Kulturpatriotismus. Als dritten Punkt nannte Schwarz den Staatspatriotismus, bei dem man stolz auf die Gründung funktionierender demokratischer Institutionen sei. Leider werde auch dieser Patriotismus zurückgedrängt, da Deutschland immer mehr Macht an die Europäische Union abgetreten habe.

Wehler unterstrich, daß in Deutschland heute eher ein regionaler Patriotismus innerhalb der Bundesländer existiere anstatt eines gesamtdeutschen Nationalismus. Kritisch setzte er sich mit der Erweiterung der EU auseinander. Da die Türkei kein europäisches Land sei, dürfe sie nicht Mitglied der EU werden. Die Aufnahme der Türkei würde eine Überlastung des europäischen Projekts bedeuten. Im Hinblick auf die Leitkultur-Debatte verwies Wehler darauf, daß es kein großes Einwanderungsland gebe, das auf seine Leitkultur verzichte.

Schwarz erinnerte daran, daß der Patriotismus Menschen mit positiven Absichten und kritischen Schlußfolgerungen benötige. Zunächst müsse der Verfassungsstaat aufgewertet werden; das heißt, Priorität habe der deutsche Staat und erst an zweiter Stelle komme seiner Meinung nach die europäische Einigung. Er forderte zudem einen neuen Schulpatriotismus. Man müsse die Schüler wieder interessieren für die Sprache, die Literatur und Geschichte. "Patriotismus ist Vaterlandsliebe; und die hat man oder man hat sie nicht. Aber wir wollen alles tun, damit sie wächst."


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