© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

"Die alte Kirche ist mir lieber"
Weihbischof Max Ziegelbauer über die Krise der katholischen Kirche vierzig Jahre nach Abschluß des II. Vatikanischen Konzils
Moritz Schwarz

Hochwürden, vor vierzig Jahren, im Dezember 1965, ging das von Papst Johannes XXIII. einberufene II. Vatikanische Konzil zu Ende. Ziel der Zusammenkunft war das "Aggiornamento", das "Heutigwerden" der Kirche. Sie haben mit Blick darauf Ihr Buch "Die 'alte' Kirche ist mir lieber" genannt. Dabei datieren Sie diese Kirche von 1925 bis 1965.

Ziegelbauer: Ich wollte den vierzig Jahren seit dem Konzil die vierzig Jahre davor gegenüberstellen, um aufzuzeigen, wieviel Gutes und Wertvolles es damals in der Kirche gab. Denn viele Leute meinen, vor dem Konzil habe es keine "hochwertige" Kirche gegeben. Dieses Konzil - mit seinen verschiedenen Graden an Verbindlichkeit - ist auch "nur" ein Zollbreit auf der langen Geraden der einzigen und steten Tradition der Kirche. Die Frage stellt sich: Ist die Kirche die tradierte römisch-katholische Kirche? Oder eine bindungsschwache - wenn nicht bindungslose -, stets auf den neuesten Stand zu bringende religiöse Zivilkirche? Zwar geht es im Glauben und seiner Verkündigung immer auch um den ganzen Menschen, aber, wie Johannes Paul II. einmal ausführte: "in seiner Beziehung zu Gott". Ähnlich Papst Benedikt XVI. beim Konzilgedächtnis am 8. Dezember 2005: "Je näher der Mensch Gott ist, desto näher ist er dem Menschen".

Das Konzil hat also des Guten zuviel getan?

Ziegelbauer: Die proklamierte "Öffnung zur Welt" steigerte sich bisweilen zu einer Euphorie alles Weltlichen - bis hin zum Laizismus.

Diese "Naivität" scheint bis heute zu wirken: Sie stellen in Ihrem Buch fest, daß sich die Krise der Kirche vor allem dadurch auszeichnet, daß man sie nicht wahrhaben will.

Ziegelbauer: Jüngst las ich in einem Bistumsblatt das Wort von der "vermeintlichen Krise". Was da dann alles schöngeredet wird! Nicht nur das öffentliche, sondern auch das private Leben ist durchgängig säkularisiert; dies ist täglich festzustellen im Umgang mit ganz normalen Zeitgenossen: Sie haben oft keine Ahnung mehr von Religion, von "Kirche" ganz zu schweigen. Die Jugend kennt - und bejaht häufig noch - Jesus Christus, aber "die Kirche kann ihr gestohlen bleiben".

Und dieser Verfall rührt vom II. Vatikanischen Konzil her?

Ziegelbauer: Nein, das Geschehen in der Ewigen Stadt wollte gerade dem modernen Menschen zum Glauben verhelfen. Bei aller Großartigkeit der Konzilstexte im Kontext einer universalen Kirche wollten sie auch die anderen Konfessionen und Religionen in den Blick nehmen und das Gute darin sehen. Manche sagen nun, die Kirche habe sich dabei selbst relativiert. Die Kirche mit ihrem zweitausendjährigen Reichtum, schöpfend aus Schrift und Überlieferung, lebendig gemacht durch den verheißenen Heiligen Geist, brachte damals doch einiges in die Dokumente hinein, das - von Konservativen und Modernisten - verschieden gedeutet wird. Das Konzil wollte sich an alle Menschen guten Willens wenden. Die auf göttliches Geheiß entstandene Kirche ließ aber ihre Autorität nicht unbetont.

"Institution gegen die Verfallsbereitschaft des Menschen"

Autorität gilt heute vielen als "nicht im Geiste des Konzils".

Ziegelbauer: Wir leben in einer Zeit, in der Autoritäten ganz allgemein nicht selten eine schlechte Presse haben. Die Autorität der Päpste und Bischöfe ist jedoch nicht eine "gegen etwas", sondern "für" die Getauften - um ihnen das Heil anzubieten im Wort und Sakrament. Es sind Geschenke der Kirche in des Wortes kostbarster Bedeutung. Es handelt sich um das wahre, ewige Leben - keimhaft geadelt im Quell der Taufe. Eigentlich ist das, "was die Kirche auf sich hat", oft einem Mißverständnis ausgesetzt. Mit soziologischen, politischen, rein innerweltlichen Kategorien läßt sich ihre Sendung nicht erfassen. Und was die Freiheit betrifft, so verkündet die Kirche trotz unseres Gebundenseins an sie die wahre Freiheit. "Zur Freiheit hat Christus uns befreit", wie es im Galater-Brief heißt. Oder wie der Schriftsteller Werner Bergengruen sagt: "Es wird der ganz Gebundene der ganz Erlöste sein."

Als Konsequenz des Konzils wird heute aber genau das Gegenteil betrachtet: "Selbstbestimmung" statt Bindung - sprich Demokratisierung der Kirche.

Ziegelbauer: Demokratie ist für freie Staatsbürger gut und nützlich; die Kirche fordert von ihren Gliedern nicht Zufallswahlen, sondern das Bekenntnis des Glaubens und der Treue. Ausgang heute ist der Individualismus als ein Signum der Moderne. Er "befreit", so jubelt eine oft einflußreiche Schicht, aus allen Zusammenhängen. Was wird heute nicht alles als "Befreiung" interpretiert! Aber ich glaube, daß nicht alle Bürger darüber glücklich sind, wenn Institutionen verfallen - ob der Staat, die Nation oder die Kulturgemeinschaft des christlichen Abendlandes. Zerfällt dann nicht auch die Gemeinschaft der Menschen? Der Soziologe und Kulturphilosoph Arnold Gehlen wertete Institutionen als gegen die Verfallsbereitschaft des Menschen gerichtete Gebilde. So müssen wir auch den Glauben an Christus und Gott als Herausforderung betrachten. Die Kirche kann ihre Freiheitsleistung nur erbringen, wenn sie Gottes Kirche ist.

Betreiben also Gruppen wie zum Beispiel "Kirche von unten", die sich mit Vorliebe auf das Konzil berufen, eher Politik als Religion?

Ziegelbauer: Als sogleich nach dem Konzil die "Aufbruchsstimmung" gerne einherging mit einem neuen, "herrschaftsfreien" Kirchenbild und der von Ihnen schon erwähnte "Geist des Konzils" erfunden und beschworen wurde, erhoben sich Stimmen über Stimmen dafür, "alte Zöpfe abzuschneiden" oder "neue Wege zu gehen". Realistischere Parolen hießen etwa "Aufbruch, aber nicht Auflösung". Einige wollten es den Kirchenangehörigen schlicht "leichter machen", wieder andere konstruierten einen Gegensatz zwischen Gesetzen Roms und Menschenliebe. Was Ihre Frage nach der Politik betrifft: Bei den sogenannten Reformgruppen steht in der Tat nicht mehr der Glaube im Mittelpunkt, sondern Gesellschaftlichkeit. Damit würde sich die Kirche endgültig in einen Sozialverband verwandeln. Nicht mehr getragen von Gott, sondern von der Mitbestimmung ihrer Mitglieder, würde sie sich bald auflösen.

Viele der Menschen, die sich in diesen Reformgruppen engagieren, sind dennoch aufrechte Gläubige. Wie ist damit umzugehen?

Ziegelbauer: Man muß ihnen in Respekt verständlich machen, daß die Hirtenpflicht der Bischöfe sich nicht mit einem "Gutsein" und einem "Es-jedem-recht-machen-Wollen" erfüllt, sondern daß diese auch etwas mit Disziplin zu tun hat. Denn viele dieser Gläubigen spüren inzwischen gar nicht mehr die Selbstherrlichkeit ihres Anspruchs. So mancher diözesane "Pastoralplan", so manches "Forum" macht die örtliche "Gemeinde" zu einer Art Quasidiözese, diese selbstgenehmigte Aufwertung erscheint auch als eine der zahlreichen nachkonziliaren Entwicklungen. Und der Bischof? Wird er nicht zu einem lediglich unterschriftsberechtigten Vollzieher ihrer Vorstellungen von Kirche? Natürlich kann nicht alles in einen Topf geworfen werden. Manche wollten zum Beispiel nur der Kirche einen Zugang zur Jugend verschaffen, andere überspannten dagegen den Bogen. Was mußte etwa bei der Amtseinführung des neuen Bischofs von Regensburg meines Wissens die Gruppe "Wir sind Kirche" gleich gegen den nunmehrigen Oberhirten demonstrieren? Es gilt wohl: Sobald sich eine Anzahl von Gleichgesinnten - oder auch: Verführten - organisiert, haben in der Regel die Scharfmacher das Sagen!

"Versuche, die Kirche auf linke Positionen zu trimmen"

Können Sie Beispiele für diese "Verweltanschaulichung" des Glaubens im Namen des Konzils nennen?

Ziegelbauer: An die Stelle eines "Ja" zur göttlichen Offenbarung tritt ein verkürzter ideologisch garnierter Glaube, der vergleichsweise "horizontal", also weltlich ausgerichtet ist und offensichtlich nur noch einem "Mehrheits-Demokratismus" huldigt. Zum Beispiel wenn gar das Evangelium unter politischen Gesichtspunkten betrachtet wird, wenn man den Glauben zur antibürgerlichen Anklage mißbraucht und versucht, die Kirche auf permissiv-liberale oder "linke", mitunter ultralinke Positionen zu trimmen. Da wird die "Option für die Armen" dann und wann klassenkämpferisch vorgetragen. Da wird "Liebe" ohne die ihr zugehörigen Werte der Angemessenheit und vor allem Gerechtigkeit "praktiziert". Bevorzugt werden dazu zum Beispiel - unbeschadet ihrer Menschenwürde - sogenannte "soziale Randgruppen" gegenüber den "normalen Menschen" in Stellung gebracht und beinahe als ein moralisches und menschliches non plus ultra herausgestellt. Und dann die anklagenden Untertöne, als ob sich die Kirche noch nie auch dieser Mitmenschen angenommen und ihnen gegenüber das Beispiel Christi und der Heiligen nachgeahmt hätte. Die religiöse Verbrämung dieses Vorgehens verdeckt jedoch nicht, daß hier kaum noch Platz ist für jene christliche Haltung, die von Umkehr, Weitergabe des Glaubens, der Bedeutung des Glaubenswissens und vom rechten Verständnis von Amt, Lehre, Friedfertigkeit und Liebe gekennzeichnet ist.

Die alte Volkskirche steht also vor dem Aus. Was kommt danach? Die Entscheidungskirche?

Ziegelbauer: Für die Neukirchler existierte vor dem Konzil eine spezifische religiös-kultische Gattung, das katholische Milieu. Es erwies sich damals als fast unmöglich für den Einzelnen, aus dem Ganzen dieser "Katholizität" in Familie, Schule und Beruf - nicht zuletzt hinsichtlich des unter "Sozialkontrolle" stehenden Kirchgangs - "auszubrechen". Lebensnah war sie, die katholische Sinnwelt, wenn auch gewiß nicht immer auf dem "höchsten" Stand. Der Soziologe Peter L. Berger weiß: "Der Katholik ... lebt in einer Welt, in der ihm das Heilige durch viele Kanäle vermittelt wird - durch Sakramente, die Fürbitte der Heiligen, den Einbruch des 'Übernatürlichen' als Wunder: Eine fließende Grenze zwischen dem Sichtbaren und dem 'Unsichtbaren'". Den Ruf nach der Entscheidungskirche halte ich für falsch. Das böse Wort vom "Gesundschrumpfen" der Kirche macht die Runde. Aber Religion und Kirchlichkeit sind sensible Dinge, die ohne gegenseitiges Beispielgeben kein Durchhalten der getroffenen Entscheidung garantieren.

Sie sind häufiger Gast der konservativen Petrusbruderschaft, die den alten, vorkonziliaren Ritus pflegt. Sehen Sie hier die Zukunft?

Ziegelbauer: Die Petrusbruderschaft unterhält im Bistum Augsburg ein Priesterseminar. Der Bischof war immer dankbar, wenn ich dort einmal jährlich die niederen Weihen spendete. Auch Kardinäle wurden dort tätig, denn die Bruderschaft gehört zur römischen Zuständigkeit von "Ecclesia Dei". Daß es im Gottesvolk wieder zur früheren "Missa Tridentina", also zur Messe nach tridentinischem, sprich vorkonziliarem Ritus kommt, nehme ich nicht an. Aber niemand weiß, was in zwanzig oder vierzig Jahren sein wird! Gegen die Wiederherstellung der einstigen Liturgie würde Sturm gelaufen werden, vor allem in den deutschsprachigen Ländern und in den Niederlanden. Immer wieder werden geradezu Ängste artikuliert, daß man doch ja nicht in die Zeit vor dem Konzil zurückfallen dürfe! Das steht im Widerspruch zur heute maßgebenden Ansicht, wonach sich die Kirche fortwährend ändern, sprich der Zeit anpassen müsse. Außerdem ist die Kirche der Jahrhunderte ebenso die "richtige", wie es die heutige Kirche ist. Vom Prinzip der "kommunikativen Freiheit" ist viel die Rede: Diskutieren will man, aber nicht das akzeptieren, was autoritativ von oben kommt. Und was die gegenwärtige Eucharistiefeier betrifft: Nun, bei allem geistlichen Schatz - haben wir nicht weitgehend eine Einheitsmesse? Die alte Messe wurde gefeiert als Stillmesse, Betsingmesse, Amt und Hochamt.

Aber wo sehen Sie, Hochwürden, denn die Zukunft der Kirche?

Ziegelbauer: Nur eine glaubensstarke Kirche wird Zukunft haben. Diese ist gebaut auf Jesus Christus und die Zwölf, die der Herr aussandte zur Verkündigung. Auf ihrem Weg durch die Zeit muß nicht alles "gleichzeitig" sein mit der Welt. Man schaue auf Frankreich, wo plötzlich Zweifel an dem staatlich etablierten Laizismus aufkeimen. Die Kirche lebt nicht aus Negation und Gegnerschaft. Sie muß "streng" sein, denn es geht um die Menschen, ja um "Leben und Tod". Sie ist voll Nachsicht und Milde; selbst heilig, besteht sie aus Sündern. In ihr herrscht ein gewaltiges Potential an Liebe, an Glanz, ja an heiterer Gelassenheit. Die guten Kräfte werden Geschichte machen.

 

Weihbischof em. Max Ziegelbauer: Geboren 1923 in Memmingen. Ziegelbauer war von 1983 bis 1998 Weihbischof im Bistum Augsburg. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen beschäftigt er sich auch immer wieder mit der Bewahrung katholischer Glaubenswahrheiten gegenüber modernen Nivellierungs-tendenzen. In seinem jüngsten Buch widmet er sich der vor-konziliaren Kirche: "Die 'alte' Kirche ist mir lieber. Ein Plädoyer für die Wiederent-deckung des Katholischen" (Stella Maris Verlag, 2002)

Fotos: Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962: "Kirche muß 'streng' sein, denn es geht um den Menschen", Weihbischof Ziegelbauer, Papst Benedikt XVI.: "Glaubensstarke Kirche"

 

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