© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Anna Walentynowicz
Walesas Schatten
von Andrzej Madela

Volker Schlöndorff wird sich gehörig die Augen gerieben haben, als ihm die Staatsanwaltschaft Danzig eine einstweilige Verfügung zukommen ließ, die ihm untersagt, in seinem Film über die Ursprünge der Solidarnosc-Bewegung, der dieses Jahr in die Kinos kommen soll, den Namen einer 76jährigen in der Ukraine geborenen Kleinrentnerin zu nennen: Anna Walentynowicz. Der ahnungslose Filmemacher hätte allerdings noch mehr gestaunt, hätte er durch seine Recherchen erfahren, wer ihm da per Gericht Post zusendet. Es war nicht die einstige Vorzeigefrau von der Lenin-Werft, wo 1980 mit dem sich an ihrer Kündigung entzündeten Streik alles begann, nein: Es war der apokalyptische Schatten von Lech Walesa.

Der Elektriker und die Kranführerin - beide gehörten Ende der siebziger Jahre zu den Gründern einer tatsächlich unabhängigen Gewerkschaft, die sich gerade im industriell rapide aufschießenden Nordpolen am deutlichsten formierte. Anna und Lech wurden schnell zu Galionsfiguren der neuen Bewegung. In der historisch einmaligen Mischung aus kernigem Antisowjetismus und oberflächlicher Religiosität fanden sie den Weg an die Spitze der neuen Gewerkschaft. Dabei soll gerade Anna den 14 Jahre Jüngeren als deren Haupt vorgeschlagen haben.

1980, bei der Gründung der Solidarnosc, war die gemeinsame Welt noch heil. Erste Risse erhielt sie erst, als Lech das Schiff Solidarnosc tatsächlich, und zwar nicht ohne Geschick, zu steuern begann. Die MP-Salven der Milizen von 1970 im Gedächtnis, das russische Bajonett im Rücken, die moskauhörigen Popanze aus Pankow und Prag um sich - Lech war zum Taktieren gezwungen. Anna, die sich seit 1980 in die zweite (dann in die dritte) Reihe versetzt sah und keinen Posten abbekam, wollte nicht wahrhaben, daß der große Lenker nicht anders konnte, sie blieb kompromißlos, wurde radikal und peitschte die Stimmung gegen Lech dort hoch, wo er, hier um einiges lernfähiger als seine Schwester im Geiste, zum Kompromiß neigte.

Wojciech Jaruzelski kassierte das uneins gewordene Paar Ende 1981 ein und isolierte es für zwei Jahre voneinander - und von der Öffentlichkeit. Anna verbitterte, fand zu noch mehr Religiosität (und noch weniger Realitätssinn), Lech hingegen ging es umgekehrt: 1983 Nobelpreis, 1989 Runder Tisch in Warschau, 1990 Präsident. Für Anna gab es keinen Platz im neuen Parlament, kein Staatsamt, dafür aber die Emeritierung mit 59 Jahren. Ein politisches Aus.

Seitdem wird sie nicht müde, die Geschichte der Solidarnosc als eine unendliche Folge von Lüge, Betrug und Fälschung darzustellen. Anna tut einem leid, eine wehleidige Frau, über die die Geschichte hinweggerollt ist, weil sie nicht beizeiten zur Seite sprang wie ihr um einiges gelenkigerer Bruder. Volker Schlöndorff, selbst von Wehleid nicht frei, hatte wohl aus Versehen einer Seelenverwandten zugesetzt. Dennoch sollte er aushalten: Er wäre nicht der erste, der Post von Anna bekommt.


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