© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Vorrang für Arbeitsplätze durch Umweltschutz
Klimaschutz durch Gebäudesanierung: Baugewerkschaftler und Naturschützer streben Beschäftigungsallianz an
Bernd-Thomas Ramb

Auf den ersten Blick klingt die Idee verführerisch gut: Die Bundesregierung soll per Investitionshilfen die bautechnische Verbesserung der Gebäude erleichtern, um sie umweltfreundlicher zu gestalten. Damit würden mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen, die Umweltschützer in ihrem Streben nach einer (noch) besseren Umwelt befriedigt, den Baufirmen aus der Flaute geholfen und der Arbeitsmarkt durch die dazu erforderlichen Neueinstellungen entlastet. Urheber des Konzepts "Vorrang für Arbeitsplätze durch Umweltschutz" sind der Deutsche Naturschutzring (DNR) und die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Ein weiterer Effekt: Die einstmaligen Lieblingsfeinde Bauwirtschaft und Umweltschutz wären endlich versöhnt.

1,5 Millionen Menschen im Umweltschutz tätig

Zur historischen Erinnerung ist auf das Zitat des ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner (SPD), in seinem frühpolitischen Leben gelernter Beton-Facharbeiter, zu verweisen: Früher hätte man solche Leute wie Fischer mit Dachlatten vom Bau vertrieben. Kurze Zeit später wurde der damit gemeinte Joseph Fischer in Turnschuhen als erster Minister der Grünen in einem Länderparlament vereidigt - und stellvertretender Ministerpräsident in Börners Kabinett. Dennoch beruhte das Zusammenwirken des Baufacharbeiters und des Umweltbewegten keinesfalls auf einem einvernehmlichen Liebesverhältnis.

Der Vorschlag des Naturschutzrings und der Baugewerkschaft hat dagegen andere Qualitäten. Er nutzt geschickt die Misere auf dem Arbeitsmarkt als Vehikel zum Transport unterschiedlicher Nöte der Baubranche wie der Umweltschutzindustrie. Daß der Umweltlobby zu Recht ein industrieller Charakter zuerkannt werden kann, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Laut dem gemeinsamen Konzeptpapier von Naturschutzring und IG Bau arbeiten zur Zeit 1,5 Millionen Menschen im Umweltschutz, das sind 3,8 Prozent aller Beschäftigten und damit mehr als etwa in der Automobilindustrie (773.000 Beschäftigte).

Besonders die IG Bau dürfte dabei der Beschäftigungszuwachs während der Jahre der rot-grünen Koalition beeindruckt haben. Zwischen 1998 und 2004 stieg die Zahl der Arbeitsplätze im Bereich Erneuerbare Energien um 70 Prozent. Rund 130.000 Arbeitsplätze sind heute in Deutschland direkt oder indirekt auf die Nutzung regenerativer Energien zurückzuführen. Wenn sich deren Anteil, wie sich die Klimaschützer erträumen, bis 2020 auf 20 Prozent der Primärenergierzeugung erhöht, könnte die Zahl der Arbeitsplätze nach Schätzung der Ökologen auf mindestens 500.000 erhöhen.

Dagegen hat sich der Rückgang der Investitionstätigkeit im Baugewerbe im Vergleichszeitraum permanent fortgesetzt. Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes sind allein im Jahr 2004 die Bruttoanlageinvestitionen der deutschen Bauunternehmen mit 20 und mehr Beschäftigten um acht Prozent unter dem Vorjahresergebnis geblieben. In den Jahren zuvor sind die Investitionen um zehn Prozent (2003) und 15 Prozent (2002) zurückgegangen. Gleichzeitig sank die Zahl der Beschäftigten um durchschnittlich zehn Prozent pro Jahr. Während 2002 noch 883.000 Beschäftigte im Bauhauptgewerbe tätig waren, sank deren Zahl Anfang dieses Jahres auf 660.000. Die Zahl der insgesamt im Baugewerbe Beschäftigten fiel im gleich Zeitraum von 2,44 Millionen auf 2,25 Millionen.

80 Prozent des Wohnbestands energetisch zu sanieren

Nun glauben die Bau- und Umweltschützer den Stein der Weisen gefunden zu haben. "Energetische Gebäudesanierung" heißt das Zauberwort. Gemeint ist die Altbausanierung in bezug auf Energieverbrauch und CO2-Emissionen der Raumheizung. Von den in Deutschland erfaßten 38,4 Millionen Wohnungen mit einer Wohnfläche von insgesamt 3,25 Milliarden Quadratmetern werden rund 80 Prozent für energetisch sanierungsbedürftig erklärt.

Allerdings erkennen die Bau- und Umweltweisen durchaus, daß "die Motivation der Akteure zur Durchführung energetischer Sanierungsmaßnahmen oftmals unzureichend" ist. Folglich müssen ihrer Meinung nach staatlicherseits finanzielle Anreize gesetzt werden, und das heißt in erster Linie Zinserleichterung bei der Kreditaufnahme. Immerhin wird (vorerst) kein staatlicher Zwang zu energetischen Sanierungsinvestitionen gefordert.

Die arbeitspolitische Rechnung der Bau- und Umweltallianz ist von entwaffnender Offenheit: "Jede in die energetische Gebäudesanierung investierte Milliarde schafft oder sichert mindestens 20.000 Arbeitsplätze." Warum nicht gleich: Mit einer Billion so investierter Euro kann die deutsche Arbeitslosenzahl halbiert werden? Teurer geht's es kaum.

Die ökonomische Ineffizienz - sofern solche Überlegungen in diesen Kreisen überhaupt eine Rolle spielen - zeigt sich aber auch in der Aufwand-Ertrag-Relation der Umweltbilanz. Deutschland wendet - im weltweiten Vergleich - die höchsten Ausgaben für die Verbesserung der Umweltqualität auf. Jede weitere marginale Verbesserung im Umweltschutzbereich erfordert überproportional ansteigende Kosten. Die Präferenzen der Bevölkerung liegen bei dieser Schieflage aber eindeutig bei einer Verringerung der Lebenshaltungskosten. Dafür würden viele sogar eine marginale Verschlechterung des bestehenden Umweltqualitätsniveaus in Kauf nehmen.

Andererseits, wenn eine Verbesserung der weltweiten Umweltverschmutzung angestrebt wird (vom deutschen Gebiet ausgehend ist das kaum noch möglich), dann wäre es ökonomisch sinnvoller, ökologische Investitionen in den Entwicklungs- und Schwellenländern vorzunehmen. Dort lassen sich mit minimalem Kostenaufwand ökologische Wunder vollbringen, wenn auch mit geringerem Beschäftigungseffekt in Deutschland. Auch der Umweltschutz unterliegt den ökonomischen Gesetzen der Globalisierungsvorteile.


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