© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Das tägliche Schneerlei
Kino II: Nicolas Vaniers "Der letzte Trapper" spielt vor eindrucksvoller Kulisse
Michael Insel

In seinem Dokumentarfilm "Schneekind", der 1995 auf DVD erschien, erzählte der Arktisforscher, Erfolgsautor und Regisseur Nicolas Vanier die Geschichte einer einjährigen Expedition, die er mit Frau und Töchterchen unternommen hatte: von den kanadischen Rocky Mountains durchs Yukon-Territorium nach Dawson City, einer einstmals blühenden Goldrauschstadt in Alaska. Jahre, bevor "Living History"-Dokusoaps die Fernsehbildschirme eroberten, lebte die Familie während ihrer wagemutigen Reise in der Wildnis wie zu Pionierzeiten.

Mit seinem Kinodebüt "Der letzte Trapper" kehrt Vanier ins Yukon-Gebiet zurück, doch handelt dieser Film nicht von eigenen Versuchen, ein Blockhaus zu bauen oder sich beim Jagen und Fischen zu bewähren, sondern von einem, der nie ein anderes Leben gekannt hat. Norman Winther, der (beinahe) letzte eines aussterbenden Menschenschlages, lebt seit fünfzehn Jahren mit seiner dritten Frau, der Indianerin Nebraska, in einem Blockhaus am Ufer eines kobaltblauen Sees im Schatten einer imposanten Gebirgskette. Vanier setzt ihn als ganz Lakonischen in Szene, der wortkarg von seinem Dasein jenseits der Zivilisation erzählt.

Nicht daß es allzu vieler Worte bedürfte, sprechen doch die Bilder mit gewaltiger Eloquenz für sich. Indes erweckt Winther den Eindruck eines Individualisten mit unerwartet idealistischen Zügen, der durchaus etwas zu sagen hätte, wenn er denn Gelegenheit dazu bekäme. Sich und seinesgleichen versteht er als Teil des Ökosystems, der im Einklang mit der Natur lebe und seinen Beitrag zum ausgewogenen Erhalt der einzelnen Tierbestände leiste. Nun bringt die Abholzung der Wälder diese prekäre Koexistenz aus dem Gleichgewicht und erschwert auch Winthers Überleben erheblich.

Doch "Der letzte Trapper" ist ein Film fürs Herz und nicht fürs Hirn: Kaum hat Winther diese komplexen Probleme angesprochen, richtet Vanier die Kamera auf dramaturgisch Ergiebigeres und läßt den Trapper die aufregendsten Abenteuer nachspielen, die ihm im Laufe seines Lebens zugestoßen sind. Was folgt, ist ein rührseliger Familienfilm, dem - insbesondere für Tierfreunde jeden Alters - ein gewisser Charme keineswegs abgeht. In Nebenrollen treten ein Wolfsrudel, Grizzlybären und eine Elchkuh auf - das alles vor eindrucksvoller Kulisse, die Kameramann Thierry Machado ("Mikrokosmos", "Nomaden der Lüfte") von ihrer schönsten, schauerlich einsamen Seite zeigt.

In den Mittelpunkt stellt Vanier Winthers Beziehung zu seinen Huskies, die ihm mehr zu bedeuten scheinen als seine treue Squaw. Einer der Hunde, Nanook, weicht in guten wie in schlechten Zeiten nie von seiner Seite, weder als der Trapper von einem Grizzly "überrascht" wird, noch auf dem siebentägigen Ritt nach Dawson City, um sich mit Vorräten einzudecken und bei einer Cancan-Show ordentlich die Sau rauszulassen. Den Gefahren der Stadt ist dieser Sohn der Wildnis jedoch nicht gewachsen und wird auf der ungepflasterten Hauptstraße überfahren.

Ein Händler schenkt Winther einen Welpen, den der Trapper widerwillig in seine Obhut nimmt. In der Überzeugung, daß Apache nicht zum Schlittenhund tauge, springt er gegen Nebraskas Rat grob mit ihm um. Das hindert den Hund nicht daran, anhänglich zu werden und Winther schließlich das Leben zu retten, als sein Schlitten ins Eis einbricht. Von diesem Augenblick an sind die beiden unzertrennlich. Gemeinsam durchqueren sie die Berge oder stapfen bei vierzig Minusgraden durch kniehohen Schnee, um nach Winthers Fallen zu sehen.

Hier kommt "Der letzte Trapper" streckenweise ganz ohne Naturburschen-Romantik aus dem Off aus, sondern gewährt schlicht Einblick in diese so fremde Lebenswelt. Obwohl ebenfalls nachgestellt, sind solche Szenen - der unvermeidliche Bau einer Blockhütte mit primitiven Werkzeugen etwa oder das abendliche Aufschlagen des Lagers, um die Nacht zu überleben - weitaus interessanter und spannender als jede noch so spektakuläre Rekonstruktion haarsträubender Begegnungen mit hungrigen Vierbeinern.

Schade, daß Vanier die achtzehn Monate, die er mit Winther verbrachte, nicht dazu genutzt hat, die alltäglichen Freuden und Leiden eines an sich schon abenteuerlichen Daseins auf die Leinwand zu bringen, statt effektheischend sämtliche dramatischen Höhepunkte aus fünfzig Lebensjahren in anderthalb Stunden Revue passieren zu lassen. Der Zuschauer kann sich des Gefühls nicht erwehren, daß hier ein großartiger Filmstoff verschenkt worden ist.

Dank der hervorragenden Kameraarbeit ist dennoch ein sehenswerter Film entstanden. Weit weniger vermögen die Protagonisten zu überzeugen, denen es sichtlich peinlich ist, vor laufender Kamera zu agieren, geschweige denn Textzeilen ins Mikrofon zu sprechen. Der Abspann bestätigt es: Die einzigen Profischauspieler in diesem Film sind die Tiere, die - mit Hilfepersönlicher Betreuer - ihre Rollen perfekt einstudiert haben.

Foto: Wenn einer eine Reise tut: Norman Winther stattet einen Besuch in der Nachbarschaft ab


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