© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Glaubhafte Verschwörungstheorien
Ferdinand Krohs "Wendemanöver" gießen Wasser in den bundesrepublikanischen Vereinigungswein

Ferdinand Kroh, ein ausgewiesener Journalist und Filmautor, erweckt in bezug auf sein neuestes Werk keine Illusionen. "Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Untersuchung", schreibt er in der Einleitung. "Es ist vielmehr ein journalistisches Buch." Kroh geht es darum, bei der Darstellung der Deutschlandpolitik in der Wendezeit "die Modelle und die Schemata aufzuzeigen, nach denen höchstwahrscheinlich gehandelt wurde". Insofern kommt auch er nicht ohne Verschwörungstheorien aus. Zu seiner Entschuldigung zitiert er Woody Allen: "Nur weil ich unter Verfolgungswahn leide, heißt das ja noch lange nicht, daß keiner hinter mir her ist." Trotz des Reportage-Stils kann man dem Buch bescheinigen, daß die Fakten im allgemeinen recht gut belegt werden und daß der Autor beim Rest zumindest die richtigen Fragen stellt. Mögen die Zeithistoriker sehen, was sie daraus noch machen können.

Am liebsten kratzt Kroh am gern gepflegten Image des "Kanzlers der Einheit" Helmut Kohl. Hierzu legt er überzeugend dar, daß Kohl zwar vermieden hat, etwa bei der Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR Zugeständnisse zu machen, zu denen andere bereit waren. Ob er diese Linie aber auch durchgehalten hätte, wenn die DDR die Öffnung der Mauer als Köder hingehalten hätte, muß offenbleiben. Kohl hat jedenfalls stets alle Vorschläge zu einer "operativen Wiedervereinigungspolitik", wie sie unter anderem von dem CDU-Bundestagsabgeordneten Bernhard Friedmann gemacht wurden, entrüstet abgelehnt ("blühender Unsinn"). Kroh kann seine Vermutung gut belegen - es gibt noch mehr Belege -, Gorbatschow habe 1988 das Gespräch mit Kohl über eine Wiedervereinigung gesucht, dieser habe aber nicht reagiert.

Es kann dahingestellt bleiben, ob Krohs Annahme zutrifft, Kohl habe nicht geglaubt, er könnte bei gesamtdeutschen Wahlen eine Chance haben. Der Rezensent neigt mehr zu der Annahme, Kohl habe - in der Tradition Konrad Adenauers - mehr Angst vor seinen Verbündeten François Mitterrand und Margaret Thatcher als Vaterlandsliebe gehabt und in der Hoffnung auf die Weiterentwicklung (West-) Europas bewußt auf die Wiedervereinigung verzichten wollen. Vielleicht trifft ja beides zu. Jedenfalls hat sich der "Kanzler der Einheit" bis Ende 1989 nie definitiv auf diese Lösung der deutschen Frage festgelegt.

Größeren Raum widmet Kroh einem Planspiel mit dem Decknamen "Züricher Modell" (später auch "Länderspiel"), das in den Jahren 1981 bis 1987 mit Unterbrechungen immer wieder in den inoffiziellen Gesprächen zwischen Bundesrepublik und DDR eine Rolle spielte. Es ging um Kredite von vier bis fünf Milliarden Mark, die Westdeutschland der DDR als Gegenleistung für eine spürbare Senkung des Ausreisealters gewähren wollte. Der Plan ist am Widerstand des MfS-Chefs Erich Mielke, wohl auch der Sowjetunion, gescheitert, die darin eine noch größere wirtschaftliche Abhängigkeit der DDR vom Westen sahen ("Aggression auf Filzlatschen"). Zudem brauchte die SED-Führung so weitreichende Zugeständnisse nicht zu machen, weil sie durch das Eingreifen des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß die begehrten Kredite deutlich billiger bekam. Auch in der Bonner politischen Klasse herrschte eben die Furcht vor, die DDR könnte destabilisiert werden.

Schließlich erörtert Ferdinand Kroh noch drei spektakuläre Mordfälle, die gemeinsam haben, nicht aufgeklärt worden zu sein, bei denen aber nicht klar ist, ob und inwieweit ein Zusammenhang mit der politischen Wende besteht. Beim zeitlich letzten Fall, der Ermordung des Treuhand-Chefs Karsten Rohwedder am Ostermontag 1991, ist dies noch am wahrscheinlichsten, denn die Frage, die Kroh zu Recht stellt, wem die Tat nütze, kann nicht ohne Hinweis auf Seilschaften des "Ministeriums für Staatssicherheit" beantwortet werden, die ein Interesse daran hatten, beiseite geschafftes DDR-Vermögen für sich zu retten.

Im Falle des Ministerialdirektors im Auswärtigen Amt Gero von Braunmühl, der am 10. Oktober 1986 auf der Heimfahrt vor seinem Haus erschossen wurde, ist dies schon weniger klar. Aus der Tatsache, daß die Täter seine Aktentasche mit geheimen Unterlagen stahlen, folgert Kroh, das MfS könne auch in diesem Fall seine Hände im blutigen Spiel gehabt haben.

Dabei weist er selbst darauf hin, daß die Hauptverwaltung Aufklärung genügend Spione im Auswärtigen Amt plaziert hatte, um ausreichend informiert zu sein. Die Rote Armee Fraktion, die oft "zweckfrei", nur um des Terrors willen mordete, kommt da schon eher in Betracht.

Die Ermordung des Vorstandssprechers der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, Ende November 1989 ordnet Kroh dagegen dem "BAC" (British American Complex) zu, nach seinen Angaben "ein Synonym für weltweite wirtschaftliche Interessen des ehemaligen Commonwealth und der amerikanischen Ostküste, die sich bis heute insbesondere auf Profite im Bereich der Finanz-, Rüstungs- und Energieindustrie konzentrieren". In diesen Kreisen habe sich Herrhausen unbeliebt gemacht. Kann sein oder auch nicht. Vielleicht sollten sich Wirtschaftshistoriker einmal an dem Problem versuchen, das die Kripo bislang nicht lösen konnte.

Ferdinand Kroh: Wendemanöver. Die geheimen Wege zur Wiedervereinigung. Carl Hanser Verlag, München 2005, 343 Seiten, gebunden, 19,90 Euro


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