© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

In der Grauzone
BND-Affäre: Hat sich Deutschland am Irak-Krieg beteiligt?
Andreas Graudin

Daß der Bundesnachrichtendienst (BND) ein ungeschöntes Lagebild von einem Kriegsschauplatz haben will und dafür auch eigene Agenten dorthin entsendet, ist nicht überraschend und schon gar kein Skandal. Es verdichten sich aber Anzeichen, daß es bei dieser passiven Beobachterrolle nicht geblieben ist. Mindestens zwei BND-Agenten hielten sich während der Bombardements in Bagdad auf. Offen ist die Qualität der Informationen, die an US-Stellen während der Kampfhandlungen weitergegeben worden sind. Wenn von ihnen militärische Objekte oder mögliche Bomben- und Raketenziele ausgespäht wurden und an amerikanische Stellen weitergereicht worden sind, dann waren deutsche Agenten Kombattanten in einem Krieg.

Noch ist unklar, ob Zieldaten für Marschflugkörper oder Truppenbewegungen weitergegeben wurden oder nur "Aussparungskoordinaten", um sogenannte "Non Targets", wie Hospitäler und Botschaften zu schützen. US-Militärs bestreiten, daß der Bundesnachrichtendienst ihre Zielplanung direkt unterstützt habe.

Wie es scheint, kommt die Bundesregierung nur dann um einen BND-Untersuchungsausschuß herum, wenn sie im Parlamentarischen Kontrollgremium zur Überwachung der Geheimdienste nachweisen kann, daß keine militärisch relevanten Informationen von deutschen Agenten an US-Dienste weitergereicht wurden. Das dürfte schwerfallen, denn es ist seit langem internationale Gepflogenheit, gewonnene eigene Informationen mit fremden Diensten auszutauschen. Dieses Geben und Nehmen, bei dem "Falschmünzer" irgendwann auffallen, und an dem keineswegs nur Nato-Verbündete partizipieren, ist auch für den BND geheimdienstliche Normalität. Etwa: Der tschetschenische Schlupfwinkel in Georgien gegen ein Waffenlager der Taliban in Pakistan. Man revanchiert sich oder hat etwas gut.

Vielleicht hätte jedoch die eine oder andere Oppositionsfraktion vom BND-Untersuchungsausschuß besser Abstand genommen, denn alle wußten, daß mit Awacs-Aufklärungsflugzeugen der Nato im Irak militärische Aufklärung betrieben wurde. An Bord taten, wie immer, auch deutsche Soldaten Dienst, das war auch dem damaligen Außenminister Fischer klar. Daß die Awacs-Daten von den US-Diensten nicht akribisch ausgewertet wurden, können nur Naive annehmen. Diese Flugzeuge müssen sich nicht innerhalb des irakischen Luftraums bewegen, um dort militärische Ziele zu erkunden. Hinzu kommt, daß Deutschland sich weder im ersten noch im zweiten Irakkrieg als neutral, sondern nur als nichtkriegführend betrachtet hat. Nichtkriegführend gegenüber Deutschland waren die USA im Zweiten Weltkrieg bis 1941 - und belieferten die Kriegsgegner Deutschlands mit Rüstungsgütern.

Offenbar will sich die Opposition, die am Dienstag den Entschluß, einen Untersuchungsausschuß zu fordern, gefällt hat, die Chance einer Bloßstellung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der dazu am heutigen Freitag in der Debatte des Bundestages Stellung nehmen will, nicht entgehen lassen. Steinmeier war bei Kriegsausbruch im März 2003 im Kanzleramt im Dienst, als die Entscheidung fiel, die beiden BND-Agenten auch nach Evakuierung der Botschaft in Bagdad zu belassen. Kontakt mit der BND-Zentrale hielten die Agenten über eine verschlüsselte Satellitentelefonverbindung der französischen Botschaft. Der Informationsaustausch oblag natürlich der BND-Zentrale, weniger Frank-Walter Steinmeier.

Kenner der Materie rechnen damit, daß es jedoch bei der Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Überwachung der Geheimdienste bleiben wird. Dort sitzen die Vertreter der Opposition. Sie sind bei Strafandrohung zur Geheimhaltung verpflichtet. Im Falle einer undichten Stelle wäre der in Frage kommende Täterkreis überschaubar, die Immunität bei den herrschenden Mehrheiten ganz schnell aufgehoben. Wenn der Untersuchungsausschuß nun kommt, ist er auch eine Demonstration der drei kleinen Oppositionsfraktionen, die der Regierung beweisen wollen, daß sie gemeinsam über große inhaltliche Differenzen hinweg einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß erzwingen können. Das macht medial Eindruck, und man spricht wieder von der Opposition.

Doch abgesehen davon, daß der Untersuchungsausschuß kaum öffentlich tagen wird, kann er ausgebremst werden. Mit dem Hinweis auf das nationale Sicherheitsinteresse kann die Bundesregierung Akten und Zeugen sperren.

Neben der Frage nach den politischen Folgen steht aber noch die Frage nach der Moral. Sollte sich herausstellen, daß Daten mit Wissen der Regierung weitergegeben wurden, trifft die damals Verantwortlichen zu Recht der moralische Bannstrahl. Die Unterscheidung von neutral und nichtkriegführend ist angesichts der moralisch begründeten Ablehnung des Krieges, die Schröder vor dem deutschen Volk zur Schau gestellt hat irrelevant. Entscheidend sind dann nicht juristische Finessen, sondern die Frage, was konnte das Volk in gutem Glauben als Standpunkt seiner Regierung annehmen. Bereits mit der Unterstützung durch den "Flugzeugträger Deutschland" hatte Schröder seine "Rhetorik mit der weißen Weste" Lügen gestraft und in der Grauzone des Krieges operiert.


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