© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

PRO&CONTRA
Alle Bundesministerien nach Berlin verlegen?
Wilfried Böhm / Axel Voss

Daß am 20. Juni 1991 vor nunmehr 15 Jahren der Deutsche Bundestag in Bonn überhaupt eine "Hauptstadtdebatte" führen mußte, war eigentlich absurd und unverständlich. Hatten sich doch seit über vierzig Jahren alle demokratischen Politiker zu Berlin als der Hauptstadt des anzustrebenden wiedervereinigten Deutschlands bekannt gehabt und Bonn als Provisorium angesehen bis zu dem Zeitpunkt, an dem Berlin seine Funktion als Hauptstadt wieder ausfüllen kann. Insbesondere spiegelte sich das in den CDU-Programmen wider.

Diesen Programmen hatten selbstverständlich auch die Vertreter der CDU im Rheinland und in Westfalen zugestimmt - hoffentlich nicht in der Erwartung, daß "die deutsche Einheit zu unseren Lebzeiten sowieso nicht kommt", wie es damals allenthalben hieß. Auch für die CSU formulierte Franz Josef Strauß im Jahr 1974, daß Berlin "für uns die Hauptstadt war, die Hauptstadt ist und nach der politischen Wirklichkeit von morgen wieder die Hauptstadt sein wird." Nach der staatlichen Einheit 1990 konnten diese Ziele und Versprechungen erfüllt werden. Das Verbleiben einiger Ministerien in Bonn wurde als berechtigte Übergangslösung angesehen, die den Grundsatz selbst nicht infrage stellte. Mit dem Bonn-Vertrag erhielt die Region Bonn für den Verlust des Parlaments- und Regierungssitzes Ausgleichsmaßnahmen und finanzielle Leistungen in Milliardenhöhe zugebilligt, die gern entgegengenommen wurden. Daß nun 15 Jahre später Deutschland, einzig in der Welt, noch immer zwei Regierungssitze hat, zwischen denen als Luftzirkus eine Beamten-Luftbrücke aufrechterhalten wird, ist nicht nur aus der Perspektive von 1990 absurd. Beharrungsvermögen, das sich durch tägliche Beweglichkeit ausdrückt, erscheint als eine zeitgemäße Form mobiler Residenzpflicht so irreal wie vieles in Deutschland. Das Ausland staunt und lacht darüber, jedes Jahr mehr.

 

Wilfried Böhm war 22 Jahre CDU-Mitglied des Deutschen Bundestages und Redner der Berlin-Debatte am 20. Juni 1991.

 

 

Für die Pauschalforderung, die sechs in Bonn verbliebenen Ministerien nach Berlin zu verlagern, gibt es keine finanziellen, keine arbeitstechnischen und keine politischen Gründe. Alle Argumente pro Berlin, die dem Umzugsbeschluß zugrunde lagen, haben sich nicht verwirklicht. In Anerkennung und Würdigung der Leistungen Bonns für Deutschland wurde eine dauerhafte und faire Arbeitsteilung als Geschäftsgrundlage vereinbart. Diese kann nicht nachträglich ohne außergewöhnliche Umstände verändert werden. Der in Bonn vorgenommene Strukturwandel wurde im Vertrauen hierauf betrieben und hängt auch von dem Verbleib der Ministerien in Bonn ab. Die Ansiedlung der UN-Einrichtungen, der Bau des internationalen Kongreßzentrums und das ganze Umfeld der sich hierauf gründenden Organisationen würden zum Beispiel ihrer Grundlage beraubt, und mehrere 100 Millionen Euro öffentlicher Gelder wären fehlinvestiert. - Die Arbeitsteilung kostet etwa 10 Millionen Euro im Jahr, der Umzug würde etwa 5 Milliarden Euro kosten. Da diese aus dem überverschuldeten Bundeshaushalt finanziert werden müßten, bedeutet ein Umzug jährliche zusätzliche Zinslasten von über 300 Millionen Euro - also nur hinsichtlich der Zinslasten das über 30fache dessen, was die Aufteilung pro Jahr tatsächlich kostet.

Zentralismus führt nicht zu besseren Arbeitsergebnissen. Die modernen technischen Kommunikationsmittel erlauben einen Arbeitsablauf, ohne daß ein Unterschied bemerkbar wäre, ob der Kollege oder die Kollegin auf einem anderen Flur oder in einer anderen Stadt sitzt. Internationale Organisationen wie die UN oder die EU haben keinerlei Schwierigkeiten mit der Ansiedlung ihrer Behörden in anderen Ländern. Die Aufteilung zwischen Bonn und Berlin fördert einen lebendigen Föderalismus. Den wollen der Bund und die Bundesländer gerade stärken. Und deshalb tut Bonn Berlin gut!

 

Axel Voss ist Rechtsanwalt, Kreisvorsitzender der Bonner CDU und Dozent für europäische Angelegenheiten am RheinAhrCampus.


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