© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

Mehr als Symbolik
Österreich II: Der jahrzehntealte "Ortstafelstreit" in Kärnten ist immer noch nicht gelöst / Historischer Kompromiß nötig
Jörg Fischer

Wieder einmal brodelt es in Kärnten wegen der deutsch-slowenischen Ortstafeln. Denn in allen Gemeinden mit zehn und in allen Ortschaften mit mindestens 15 Prozent Slowenisch sprechender Bevölkerung sollen zweisprachige Tafeln angebracht werden. Landeshauptmann Jörg Haider (Ex-FPÖ, nun BZÖ-Chef) hat dazu eine Umfrage in neun Gemeinden durchgeführt. Ein Notar und die Landeswahlbehörde waren mit der Auswertung beauftragt. So sprachen sich im SPÖ-regierten St. Kanzian (Skocijan) am Klopeiner See 88,5 Prozent (bei 49,6 Prozent Wahlbeteiligung) gegen Ortstafeln auch in Slowenisch aus. Die übrigen befragten Orte zeigten ebenfalls eine hohe Ablehnungsquote.

Letzten Freitag hatte nun Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) einen "Runden Tisch" dazu einberufen, um die Aufforderung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, weitere zweisprachige Ortstafeln aufzustellen, zu besprechen. Vertreten waren zwölf betroffene Bürgermeister und Haider. Eine Langzeitlösung sei angebracht, so Schüssel. Das Treffen verlief jedoch ergebnislos. Bundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) sprach sich gegen die von Haider angeregte Volksbefragung aus: Man könne nicht über Minderheitenrechte abstimmen.

Laut Volkszählung vom 15. Mai 2001 sind nur 14.010 (2,5 Prozent) der 559.404 Einwohner dieses österreichischen Bundeslandes Slowenen. Und das kommunistische Jugoslawien ist längst aufgelöst und die Republik Slowenien seit 2004 EU-Mitglied. Und zweisprachige Schilder für die Sorben regen in der Lessingstadt Kamenz (Kamjenc) in der Oberlausitz kaum jemand auf.

Doch der Kärntner Ortstafelstreit hat eine jahrzehntelange Geschichte und seinen formalen Ursprung in Artikel 7 Ziffer 2 bis 4 des Österreichischen Staatsvertrages vom 15. Mai 1955: "In den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens, des Burgenlandes und der Steiermark mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung ... werden die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch verfaßt", heißt es dort in Ziffer 3. Und während es mit den Kroaten kaum Probleme gab, war das mit den Slowenen aus historischen Gründen ganz anders. Denn ein großer Teil Kärntens war zweimal von südslawischen Truppen besetzt: Nach dem Ersten Weltkrieg von Truppen des SHS-Staates (Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen) und nach dem Zweiten Weltkrieg durch jugoslawische Partisanenverbände. Während der am 12. Mai 1945 proklamierte Anschluß Kärntens (Koroska) an Jugoslawien und die Installierung des früheren Landtagsabgeordneten Franz (France) Petek (der 1938 als Slowenen-Vertreter nach dem Anschluß Österreichs ans Deutsche Reich deren "Loyalität" versicherte) als Landeshauptmann wegen des Einschreitens der britischen Besatzungsmacht eine kurze Episode blieb, sind die zwei Jahre unter SHS-Besatzung noch immer in mahnender Erinnerung - vor allem wegen der opferreichen Kämpfe (an denen Konservative wie Sozialisten beteiligt waren) gegen die SHS-Truppen 1919. Der Friedensvertrag von St. Germain sprach dann das Kanaltal Italien und das Mießtal, Unterdrauburg sowie die Gemeinde Seeland dem SHS-Staat zu. Für den Rest Südkärntens ermöglichte er eine Volksabstimmung. Am 10. Oktober 1920 (der Tag ist seither Feiertag) stimmten 59 Prozent für einen Verbleib bei Österreich, obwohl etwa 70 Prozent der Stimmberechtigten Slowenen waren. Der SHS-Staat erkannte das Ergebnis nicht an und begann erneut, Kärnten zu besetzen. Erst nach internationalem diplomatischen Druck zogen die Truppen bis 22. November 1920 wieder ab.

1972 löste dann Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ), der 205 zweisprachige Ortstafeln aufstellen ließ, den "Ortstafelsturm" aus, bei dem in ganz Südkärnten zweisprachige Schilder abgebaut wurden. Der berühmteste Ortstafelstürmer war übrigens Kreiskys Parteifreund Vitus Jesse, Bürgermeister von St. Kanzian. Weil die Proteste anhielten, schuf die SPÖ-Bundesregierung in Wien 1976 ein Volksgruppengesetz, das nur zur vereinzelten Aufstellung von Tafeln in zwei Sprachen führte. Denn die Topographieverordnung von 1977 legte den notwendigen slowenischsprachigen Bevölkerungsanteil mit 25 Prozent fest.

Im Jahr 2001 hat nun das Höchstgericht entschieden (Anlaß war die fehlende zweisprachige Ortstafel in St. Kanzian, wo nur 12,8 Prozent Slowenen sind), daß diese Regelung von 1977 verfassungswidrig ist. In rund 800 Ortschaften müssen demnach zweisprachige Schilder aufgestellt werden. Der Rat der Kärntner Slowenen unter Obmann Matevz Grilc signalisierte einen Kompromiß von nur 400 Schildern. Haider bekräftige hingegen seine ablehnende Haltung. Und während die jüngere Politikergeneration von SPÖ und ÖVP allmählich auf Distanz zu den Traditionsverbänden geht - dem Abwehrkämpferbund (KAB) und dem Kärntner Heimatdienst (KHD) -, ist es angesichts sinkender Popularitätswerte in Österreich für Haider um so wichtiger, hier weiter "Flagge" zu zeigen.

Die österreichischen "Gesetze sind von den Normen her in Ordnung", findet der Kärntner Slowene Janko Ferk, Richter am Klagenfurter Landesgericht. "Bisher sind zirka 70 Ortstafeln aufgestellt. 158 Schilder, die jetzt in der Diskussion sind, sind nicht ausschöpfend." Ferk, der aus St. Kanzian stammt und auch als Schriftsteller und Übersetzer erfolgreich ist, glaubt, daß die Slowenen damit zufriedengestellt wären, "würde der politische Wille gezeigt und nur 400 Schilder aufgestellt werden. Es geht hier mehr um Symbolik." Ebenso würde es im alltagspraktischen Bereich aussehen: "Fast niemand traut sich, slowenische Formulare beim Finanzamt abzuholen."

Abkehr vom "Partisanen-Mythos" überfällig

Hingegen sieht er die Minderheitenregelung in Südtirol als vorbildlich an. "Es ist auch de facto so, daß sich die Kärntner Slowenen an die Südtiroler anlehnen. Sie kennen die Problemstellungen und haben mit uns kompetent darüber geredet. Es war nie schulterklopfend, sondern kritisch."

Haiders langjähriger Mitstreiter, der FPÖ-Europaabgeordnete Andreas Mölzer, forderte in der Wiener Presse eine "intellektuell redliche" Minderheitenpolitik. Er unterstütze den "historischen Kompromiß", der insgesamt 158 zweisprachige Ortstafeln vorsieht. Voraussetzung dafür seien jedoch "vertrauensbildende Maßnahmen". Dazu gehöre "die Bereitschaft Sloweniens, die deutsche Rest-Minderheit in Slowenien mehr zu fördern" und eine Abkehr vom "Partisanen-Mythos" unter den Slowenen, meinte das Vorstandsmitglied des KHD. Das sei notwendig, "damit sich die den Slowenen nicht sehr zugeneigte Stimmung in der Deutsch-Kärntner Bevölkerung ändert". Denn während des Zweiten Weltkriegs gab es nicht nur Vertreibungen und Verbrechen durch NS-Behörden, sondern auch zahlreiche Morde und Verschleppungen durch slowenische Partisanen.


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